CHANSON D'AMOUR

Der alte Sack

Ein alternder Schlagerfuzzi verliebt sich falsch

Eigentlich möchte man so etwas nicht mehr sehen: Französische Filme, in denen Männer in der Midlife Crisis jungen Frauen hinterher jagen, die ihre Töchter sein könnten. Und dann auch noch Gerard Depardieu, der in den letzten Jahren vorwiegend mittelmäßige Komödien (Boudu/Ruby & Quentin) im Autopilot-Verfahren drehte.
Hat man den großen, starken Mann des französischen Kinos nicht in den vorgezogenen Ruhestand aufs eigene Weingut geschickt? Aber dann steht er nun plötzlich in Xavier Giannolis Chanson d'Amour auf der Bühne einer Provinzdisco, haucht abgegriffene Lieder über die Liebe und das Leben ins Mikrophon, während sich unten auf der Tanzfläche die ältere Jugend paarweise im Kreise dreht. Und schon bald ist klar: Diese Rolle hat irgendwo im Limbus ungeschriebener Drehbücher auf Depardieu gewartet.
Der Schlagersänger Alain Moreau (Depardieu) ist sich für keinen Auftritt zu schade. Ob zur Single-Börse in der lokalen Diskothek, zum Tanztee in einem Altersheim oder als Alleinunterhalter in einer Hotelbar - seine Chansons haben für die Vereinsamten immer noch Konjunktur. Als er im Publikum die junge Immobilienmaklerin Marion (Cecile de France) erspäht, umschnurrt er sie mit routiniertem Entertainer-Charme. Nach ein paar Gläsern Champagner landen die beiden tatsächlich in einem Hotelbett. Am anderen Morgen schleicht sich Marion aus dem Zimmer. Der Fehltritt mit dem alten Knacker ist ihr höchst peinlich. Alain jedoch hat es erwischt. Unter dem Vorwand, ein neues Domizil zu suchen, beginnt er post coitum um das Herz der kühlen Maklerin zu werben.
Während das französische Kino normalerweise ganz ungeniert alte Herren mit blutjungen Damen verkuppelt, macht Xavier Giannoli das Altersgefälle offensiv zum Thema. Alain ist sich bewusst, dass seinen Begehrlichkeiten doch eine gewisse Lächerlichkeit innewohnt.
Marion fährt ein breit gefächertes Arsenal von Abwehrmechanismen gegen den unnachgiebigen Verehrer auf. Und Cécile de France (L'Auberge Espagnole) ist mit wenigen Blicken in der Lage, ganze Vernichtungsfeldzüge zu führen. Die belgische Schauspielerin hat gute Chancen zu einer der großen Damen des französischen Kinos aufzusteigen. Und Depardieu? Der scheint sich für diese Rolle vollkommen zu öffnen, hat keine Angst davor, sich vor der Kamera lächerlich zu machen, blüht auf und sinkt, von Altersmelancholie gepackt, in sich zusammen. Auch hier ist der bullige Schauspieler mit der Boxernase ein Kämpfer, allerdings einer der vorwiegend um die eigene Contenance ringt. Sehr lange hat man Depardieu nicht mehr so gut gesehen.

Martin Schwickert

F 2005 R&B: Xavier Giannoli K: Yorick Le Saux D: Gérard Depardieu, Cécile de France, Mathieu Amalric