TSCHECHISCHER TRAUM

Kauf nix!
Eine Konsumkampagne schickt die Verbraucher dorthin, wo es nichts zu kaufen gibt

Zu Tausenden sind sie gekommen und warten auf Einlass. Hinten auf der grünen Wiese vor den Toren Prags erkennt man schemenhaft die Umrisse des neuen Hypermarktes, für dessen Eröffnung schon seit Monaten geworben wird. "Cesky Sen" ("Tschechischer Traum") nennt sich der Konsumtempel. Geht nicht hin! Kauft nichts! Gebt kein Geld aus! war als Sprechblasen-Überschrift in den Anzeigen zu lesen. Trotzdem stürmt die Menge dem tschechischen Traum entgegen, aber alles, was die Menschen vorfinden, ist ein Baugerüst und eine riesige, bunte Plane, die die Umrisse des Gebäudes nur simuliert.
Die Filmemacher Filip Remunda und Vít Klusák haben der Konsumgesellschaft, in die sich ihr Land verwandelt hat, den Spiegel vorgehalten. Mit einer fingierten Werbekampagne haben sie ganz Prag in Aufruhr versetzt und ihr Experiment zu einem intelligenten Film-Essay über Medienmacht und Kaufrauschkultur verwandelt. Ihr Film beschreibt detailliert den Aufbau einer kollektiven Konsumvision mit modernen Marketing-Techniken.
Hochprofessionell sind die Filmemacher bei der Kampagne für den potemkinschen Hypermarkt vorgegangen. Die Firma Boss hat die beiden selbsternannten Manager eingekleidet, und dafür darf der Filialleiter das Firmenlogo ganze fünf Sekunden ins Bild halten. Ein Komponist entwirft einen herzerweichenden Werbesong, der mit Kinderchor und Orchester eingespielt wird. Teaser wecken im Radio und Fernsehen den Appetit auf den Tschechischen Traum. Die Prospekte werden von Testpersonen geprüft, deren Augenbewegungen mit einer High-Tech-Apparatur aufgezeichnet werden. Dazwischen erzählen Shopping-Süchtige von ihren familiären Kauforgien in Tschechiens Hypermärkten, von denen seit 1995 in der kleinen Republik ganze 125 aus dem Boden geschossen sind.
Als die Menge schließlich auf den vermeintlichen Konsumtempel zustürmt, bleibt der erwartete Krawall aus. Die Filmemacher stellen sich der Diskussion mit den verhinderten Endverbrauchern. Einige wenige bedanken sich sogar, weil sie endlich mal wieder ein Wochenende auf der grünen Wiese anstatt zwischen Warenregalen zugebracht haben.
In den tschechischen Medien wurde die Aktion sehr ausdauernd diskutiert und löste sogar eine Parlamentsdebatte aus. Aber auch in der bundesdeutschen Geiz-Ist-Geil-Kultur ist das tschechische Schelmenstück ein Film von erhellender Wirkung.

Martin Schwickert
R&B: Vít Klusák, Filip Remunda K: Vít Klusák D: Die Einwohner der Tschechischen Republik