THE CELL Killers Psyche
Eine gruselige Reise ins Ich als schriller Videoclip Mit wunderbaren Bildkompositionen beginnt der Bildersturm von The Cell . Jennifer Lopez reitet in einem weissen Fantasiekostüm auf einem schwarzen Rappen durch eine sandgelbe Wüste unter einem azurblauen Himmel. Dann wandert sie wie auf einer unsichtbaren Linie durch den Sand, bewegt sich genau auf dem Kamm einer Düne, während die Kamera ihre majestätischen Schritte aus der Luft einfängt. Schliesslich findet sie einen kleinen Jungen und redet mit ihm ein paar aufmunternde Sätze. Leider findet der Junge den Gedankenaustausch weniger anregend und entfernt sich mit katzenhaft-verzogener Miene. Mission gescheitert. Lopez alias Catherine arbeitet im Unterbewusstsein. Sie klinkt sich computergestützt in die Träume und Ängste von Patienten ein wie der kleine Junge, der seit Monaten im Koma liegt. Bisher konnte sie ihm nicht helfen, deshalb plädiert sie auf einen umgekehrten Weg: Der Patient steigt in ihre Traumwelt ein. Das Vorhaben wird abgelehnt. In einer ganz realen Welt mordet ein Seienkiller junge Frauen auf bestialische Weise. Das FBI fasst ihn, weil der Täter auch selbst zur Strecke gebracht werden will. Aber: Irgendwo hat er ein Opfer in spe versteckt und der Killer ist in einen komatösen Zustand gefallen. Catherine soll zu ihm Kontakt aufnehmen und herausfinden, wo die Entführte auf ihr Schicksal wartet. Hieronymus Bosch hätte es sich nicht besser ausdenken können: Jene grausigen Sphären in morbidem Braun und blutigem Rot, die der Killer in seinem Kopf mit sich herumträgt. Das sind bild-gewordene Psychosen mit zerhackten Tieren a la Damien Hirst und Vater-Sohn-Konflikten aus dem Freud-Kanon. Zwitterwesen aus Frau und Puppe bewohnen die Zwischenwelt, und ein Herrscher mit unendlich langem Rock stolziert und quält ganz grausig. Wer den Regisseur Tarsim Singh aus dem Kino bisher zurecht nicht kannte, wird seine Handschrift spätestens an den Sets erkennen. Es gibt eine Szene, in der Singh einen Raum originalgetreu darstellen liess wie aus seinem wohl berühmtesten Video: "Losing my Religion" von REM. Wie dort wechselt er hier zwischen einer Kitsch-Ästhetik der Pierre-et-Gilles-Fotografien und dem morbiden Charme eines Marilyn-Manson-Videos. Aus den opulenten Bildern bezieht der Film seine grösste Spannung. In einer Welt, wo keine realen Gesetze gelten, kann jedes Ungeheuer aus Kindertagen um die Ecke rauschen. Catherine wandelt sich dabei von einer professionell Involvierten zur persönlich Interessierten und verletzt so ziemlich jede Regel ihres Berufsfaches. Darum kümmert sich The Cell jedoch herzlich wenig. Hier soll man sich gruseln. Und man tut's.
Ulf Lippitz
USA 2000. R: Tarsem Singh B: Mark Protosevich K: Paul Laufer. D: Jennifer Lopez, Vince Vaughn, Vincent D'Onofrio, 107'
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