CAPOTE
Kaltblütig Eine Reportage verändert die literarische Welt und macht ihren Autor zum Star
Als Truman Capote am 15. November 1959 eine Meldung in der New York Times liest, die von einem vierfachen Mord in einem Kaff im Mittleren Westen berichtet, wittert er eine interessante Geschichte. Er reist nach Holcomb, Kansas, um eine Reportage über den Umgang der Dorfbewohner mit dem grausamen Mord zu schreiben. Später wird Capote sagen, wenn er damals gewusst hätte, was dort auf ihn zukommt, hätte er niemals in Holcomb angehalten.
Aus der Reportage wurde ein Buch, und dieser erste nicht-fiktionale Roman veränderte die Literaturlandschaft der Sechziger-Jahre nachhaltig, nicht nur in den USA. Capotes Kaltblütig war der bedeutendste Roman seiner Zeit, weil er auf präzise Weise die Innenansicht eines Verbrechens beschrieb und sich dabei auf die amerikanische Wirklichkeit berief. Das Buch brachte Capote weltweiten Ruhm, war aber auch gleichzeitig das Ende seiner schriftstellerischen Karriere. Nach Kaltblütig hat er keinen Roman mehr zustande gebracht und flüchtete sich deprimiert in den Alkoholismus.
Bennett Miller widmet sich in seinem Film diesen entscheidenden sechs Jahren im Leben des legendären Autors. Kein ordinäres Biopic also, in dem vom Kindheitstrauma bis zur finalen Vergreisung alle Lebensstationen abgegrast werden, sondern eine konzentrierte, biographische Ausschnittvergrößerung.
Philip Seymour Hoffman spielt den exzentrischen Schriftsteller, dessen kindliche Fistelstimme und divenartiges Auftreten leicht zur Karikatur verführen, mit schillernder Vielschichtigkeit.
Wie ein Außerirdischer steht der New Yorker Partyhengst zunächst in der weiten Landschaft des Mittleren Westens. Aber trotz aller Exzentrik hat Capote eine Art auf die Menschen zuzugehen, ihnen die richtigen Fragen zu stellen und zuzuhören, die ihm einen Weg in die verschlossenen Seelen der Dörfler bahnt.
Schließlich werden die Mörder gefasst, und der Schriftsteller bekommt die Chance, auch die Täterseite des Verbrechens zu erkunden. Als er Perry Smith im Gefängnis besucht, verfällt Capote dem melancholischen und überraschend intelligenten jungen Mann.
Durch die Gitterstäbe hindurch entwickelt sich eine intensive Beziehung, in deren Verlauf der Mörder dem Autoren zögernd seine Seele öffnet. "Dieser Mann ist eine Goldmine", sagt Capote zu seiner Schriftstellerfreundin Harper Lee (Catherine Keener), denn er weiß, dass die Konversation mit dem Biest seinem Roman zum Durchbruch verhelfen wird.
Capote ist sowohl ein faszinierter, empathischer Zuhörer als auch der Vampir, der alle Informationen aus seinem Sujet heraussaugt. Dieser moralische Grundkonflikt spitzt sich zu, als die beiden Mörder zum Tode verurteilt werden. Für die Verurteilten ist Capote mit seinen guten Beziehungen die letzte Überlebenshoffnung, aber der Romanautor weiß auch, dass erst die Hinrichtung der beiden seinem Buch das richtige Finale bringt.
Capote überzeugt durch seine konzentrierte Art des Erzählens. Die stimmungsvollen Bilder unterstreichen den moralischen Konflikt, der sich in die Geschichte einschleicht und die Grundspannung bis zum Ende hält. Philip Seymour Hoffman spielt Capote als Exzentriker, Egomanen, schillernden Partyhengst, depressiven Intellektuellen, mitfühlenden Zuhörer und kaltherzigen Karrieristen. Selten sieht man auf der Leinwand eine solch widersprüchliche Figur, die in all ihren Facetten vollkommen überzeugt.
Martin Schwickert
USA 2005 R: Bennett Miller B: Dan Futterman nach dem Buch "Capote" von Gerald Clarke K: Adam Kimmel D: Philip Seymour Hoffman, Catherine Keener, Clifton Collins Jr.
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