CACHE
Fremde Blicke Beobachtung erzeugt Verunsicherung: ein Bürgerdrama mit Thrillercharakter
Eigentlich ist nicht viel zu sehen auf dem Videoband. Ein Stück Straße. Ein paar parkende Autos. Der Hauseingang. Aber das reicht vollkommen aus, um bei Anne und Georges Laurent (Juliette Binoche und Daniel Auteuil) einen nagenden Prozess der Verunsicherung in Gang zu setzen.
Denn die Bilder sagen: Du wirst beobachtet. Und wer sich beobachtet fühlt hat Angst, sich ein Blöße zu geben, versucht sich gegen die Blicke zu schützen und sucht nach Gründen für die Observation. Gerade, wenn man, wie Georges, im Lichte der Öffentlichkeit steht. Der gut situierte Mittvierziger leitet eine Literatur-Talkshow im Fernsehen. Sein Gesicht ist jede Woche auf den TV-Bildschirmen der Nation präsent. Als das anonyme Videoband vor seiner Haustür liegt, fühlt sich das kultivierte Ehepaar auf diffuse Art bedroht. Die Polizei hat keine Handhabe. Auch dann nicht, als mit der nächsten Cassette bizarre, gewalttätige Zeichnungen vor der Haustür abgelegt werden. Immer enger zieht der Unbekannte die Schlinge. Und als Bilder von Georges Elternhaus auf dem Band zu sehen sind, ahnt dieser, dass ihn ein dunkles Geheimnis seiner Kindheit einholen wird.
In Caché porträtiert der österreichische Autorenfilmer Michael Haneke ein Großbürgerpaar am Rande des Nervenzusammenbruchs. Man kann vor der Kamera zusehen, wie die Kultiviertheit, das Selbstbewusstsein und alle Sicherheiten ihrer Existenz davonschwimmen, ohne dass sie selbst direkt bedroht werden. Denn ins Verderben reißt Georges sich vor allem selbst. Die anonymen Bänder und die Geheimniskrämerei zersetzen zusehends seine Beziehung zu Anne.
Mit scharfem Blick beobachtet Haneke, wie die gut funktionierende Ehe der diffusen Bedrohung nicht Stand hält und tief vergrabene Schuldgefühle die Rationalität des Handelns untergraben. Wie oft bei Haneke geht es auch hier um moralische Grenzziehungen und wie Menschen mit den eigenen Maßstäben verfahren, wenn sie unter Druck geraten.
Caché ist seit langem der interessanteste und ambivalenteste Film Hanekes, dessen Werke oft von einer gewissen moralischen Strenge durchzogen sind.
Bis zur allerletzten Filmminute nährt Caché auch beim Publikum den Zweifel und hält die Spannung, indem er eine restlose Aufklärung verweigert. Erst als der Abspann läuft und die Kamera wieder auf Beobachtungsposten steht, wird den aufmerksamsten Zuschauern eine Enträtselung angeboten und eine neue Deutungsebene eingeschoben. Deshalb lautet die Gebrauchsanweisung für diesen Film: Sitzen bleiben bis zum bitteren Ende - und ganz genau hinschauen!
Martin Schwickert
F/Ö/IT/D 2004 R&B: Michael Haneke K: Christian Berger D: Daniel Auteuil, Juliette Binoche
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