BUFFALO 66


Großer Verlierer

Regisseur Vincent Gallo will sich an seinen Eltern rächen

Als sich die Gefängnistore hinter Billy Brown schließen, wartet dort draußen niemand auf ihn. In seiner viel zu kurzen Trainingsjacke und den knallroten Westernstiefeln steht er verloren in der winterlichen Landschaft von Buffalo. Es kalt und er muß pissen, aber selbst dafür findet er keinen geeigneten Ort. Wie ein getretener Hund hetzt er verzweifelt von einer geschlossenen Toilette zur nächsten; schon in dieser Anfangssequenz skizziert Vincent Gallo das ganze Unglück seiner Figur.
Billy hat im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nie eine Chance gehabt. Selbst das Verbrechen, für das er im Knast saß, hat er nicht begangen. Vor fünf Jahren hatte er anfallartig auf das Glück gehofft, 10.000 Dollar, die er nicht besaß, auf ein Spiel der "Buffalo Bills" gesetzt und verloren. Der Kredithai nötigte ihn zu einem falschen Geständnis. Nun will Billy sich rächen - an dem Spieler, der damals alles vermasselt hat.
Zunächst aber muß er seinen Eltern erklären, wo er die letzten fünf Jahre war. Am Telefon erfindet er eine haarsträubende Lügen- und Erfolgsgeschichte. Um zu Hause gut dazustehen, entführt er kurzerhand die junge Layla (Christina Ricci) als vermeindliche Ehefrau. Obwohl sich Layla auf das Spiel einläßt, will sich die Familienharmonie dennoch nicht so recht einstellen. Die Eltern können sich nur mühsam an den Namen ihres Sohns erinnern. Die Mutter verfolgt gebannt im Fernsehen aufgezeichnete Football-Spiele. Bis heute hat sie Billy nicht verziehen, daß sie wegen seiner Geburt das einzige siegreiche Superbowl-Spiel der Buffalo-Bills verpaßt hat. Derweil fummelt der Vater an der neuen Schwiegertochter herum. Für Billy interessiert sich keiner von beiden, das scheint schon immer so gewesen zu sein. Layla will Kinderfotos von Billy sehen. "Jimmy, wo haben wir das Bild von Billy?". Nach langem Suchen findet die Mutter zwischen alten Zeitschriften schließlich das einzige Foto ihres Sohnes. Nach dem Elternbesuch bleibt Layla bei Billy. Sie suchen ein Bowling-Center und später ein Motel-Zimmer auf. Wie in The Big Lebowski zeigt sich auch in Buffalo 66 die wahre Größe des Verlierers an der Kegelbahn. Langsam wächst Laylas Zuneigung zu dem sonderbaren Entführer, auch wenn dieser sich gegen jeden Annäherungsversuch sperrt. Nur einmal werden sich ihre Lippen in diesem Film kurz berühren.
Vincent Gallo inszeniert sein skurriles Loser-Portrait mit spröder Independence-Ästhetik. Seine Hauptfigur möchte nicht angefasst werden - die Kamera respektiert das und beobachtet aus halbtotalen Einstellungen. Mit festem Blick nähert sich der Film dem sperrigen Charakter, ohne ihm zu nahe zu treten, macht sich über Billy lustig, ohne ihn der Lächerlichkeit preis zu geben. In wenigen prägnanten Szenen demontiert Buffalo 66 den amerikanischen Familenmythos rückstandslos. Als Hauptmotiv für seinen Film gibt Regisseur, Co-Drehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller Vincent Gallo "Rache" an. Mit diesem teilweise autobiographischem Film habe er sich an seinen Eltern rächen wollen. Nicht nur das ist ihm gelungen. Auf ungewöhnliche Weise verbindet Buffalo 66 sarkastische Millieuschilderungen und einfühlsames Außenseiterportait miteinander und wirft einen beißend-kritischen Blick auf die Kehrseite des amerikanischen Traums.

Martin Schwickert