THE BOXER


Endlos im Ring

Der Irland-Konflikt: Haust du meinen, hau ich deinen

Es beginnt mit einer Hochzeit ohne Bräutigam. Die Feier findet in einem Hinterzimmer statt, und der Vater der Braut kommt über Umwege dorthin. Auf der anderen Seite des Blocks schlüpft er mit seinen Leibwächtern in einen Hauseingang. Türen öffnen sich nach verabredungsgemäßen Klopfzeichen. Schränke werden verrückt - dahinter Mauerdurchbrüche zum Wohnzimmer des Nachbarn. Man grüßt sich selbstverständlich im Vorbeigehen, ein paar Treppen rauf und runter und durch einen Nebeneingang in die Kneipe, in der die Feierlichkeiten in vollem Gang sind. Eine Hochzeit in Belfast, Nordirland. Die Braut hat soeben einen IRA-Gefangenen im Knast geehelicht. Der Vater der Frischvermählten muß als Leiter der örtlichen IRA-Zelle Umwege in Kauf nehmen, um nicht von der britischen Armee oder loyalistischen Heckenschützen ins Visier genommen zu werden. In seiner Ansprache stößt er auf seine Töchter und alle anderen Frauen an, die hier draußen durch ihre Ehetreue die Kämpfer im Gefängnis und die gerechte Sache unterstützen. Dieser Ehrenkodex wird von der Organisation streng überwacht. Wenig später werden einem jungen Kerl Knieschüsse angedroht, weil er sich an die Frau eines Inhaftierten herangemacht hat.
Der irische Regisseur Jim Sheridan und sein Drehbuchautor Terry George machen populäres, politisch engagiertes Kino. Nach Im Namen des Vaters und Mütter und Söhne (hier führte George Regie und Sheridan schrieb das Drehbuch) beleuchten sie in Der Boxer die Defekte, die der jahrzehnte lange Krieg im Norden Irlands in der katholischen Community hinterlassen hat.
Als der ehemalige IRA-Aktivist Danny Flynn (wieder Daniel Day-Lewis) nach vierzehn Jahren aus der Haft entlassen wird, wartet niemand auf ihn. Die ersten Nächte verbringt er bei der Heilsarmee, und als er sich mit dem Vorschlaghammer Zugang zu seiner inzwischen zugemauerten Wohnung verschafft, wird er von Armee und Nachbarschaft gleichermaßen mißtrauisch beäugt. Als Danny damals verhaftet wurde, hat er zwar keinen seiner Mitkämpfer verraten, sich im Knast aber schweigend von der IRA distanziert. Die streng republikanische Nachbarschaft legt ihm nahe, das Viertel und das Land zu verlassen. Danny bleibt. Denn er ist ein sturer Hund und außerdem ein meisterhafter Boxer. Mit seinem früheren Coach Ike Weir (Ken Scott) baut er den alten Boxclub wieder auf, in dem damals unabhängig von konfessioneller Zugehörigkeit gegeneinander angetreten wurde. Mit dem Club setzt sich Danny zwischen die Fronten. Auch daß er wieder mit seiner Jugendliebe anbändelt, wird von den Sittenwächtern der IRA nicht gerne gesehen. Schließlich ist Maggie (Emily "Breaking the Waves" Watson) die Tochter des Chefs (Brian Cox) und mit einem "Prisoner of War" verheiratet.
Der Film verzichtet darauf, die Konfliktlinien in ein sauber getrenntes Gut/Böse-Schema einzuordnen. Sheridan zeichnet ein sehr differenziertes Bild des Krieges, der in alle Beziehungen hineinregiert, und macht deutlich wie fragil ein Friedensprozess in solch verhärteten Strukturen ist. Aber Sheridan geht es nicht nur um eine politische Zustandsbeschreibung, sondern er will sein Thema einem Massenpublikum zugänglich machen. Und hier fangen die Probleme an. Zu dem politischen Statement gesellen sich Genreelemente des Boxerfilms, sowie die obligatorische Liebesgeschichte. Zum abertausendsten Mal wird hier die Königskindergeschichte wiedergekäut. Seltsam blutleer wirkt die Beziehung der Liebenden. Daniel Day-Lewis und Emily Watson bleiben weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, weil die Regie sie offensichtlich in den entscheidenden Situationen alleine gelassen hat.
Auch als Boxerfilm will die Angelegenheit nicht so recht funktionieren. Die Kampfszenen leiden unter der metaphorischen Überfrachtung. Ästhetik und Erzählrhytmus des Films passen sich ehrfurchtsvoll dem aalglatten Hollywood-Kanon an. Die blaustichigen Bilder sind zwar oft dunkel, aber keinesfalls düster und unfreundlich. Der omnipräsente Soundtrack schleift die letzten Unebenheiten heraus. Soviel formale Anbiederungsarbeit wäre nicht nötig gewesen. Im Gegenteil führt gerade sie dazu, daß einen die politische Engagiertheit des Films so seltsam unberührt läßt.

Martin Schwickert