DIE 120 TAGE VON BOTTROP
Rainers Rächer
Christoph Schlingensief, Mamis Lieblingsbilderstürmer, beerdigt einen leeren SargEs war ein gutes Jahr für Mutter Schlingensiefs Sohn: Wegen einer Kunst-Aktion verhaftet ("Tötet Helmut Kohl!"), in RTL als Talk-Pflaume ausgeholfen ("Wir müssen an die Arbeitslosen denken!"), in der Hamburger Bahnhofsmission Experimentaltheater gemacht (und dafür vom Chefkritiker der "Süddeutschen" als "große Theaterhoffnung" entdeckt), und jetzt der Film über den Deutschen Film, der alle Kritiker zum quieken bringt. Man kann das genial finden; man kann's allerdings auch lassen.
Die 120 Tage von Bottrop will "der letzte Neue Deutsche Film" sein. Und ist stellenweise, vor allem wegen der Faßbinder-Heroinen Margret Carstensen und Irm Hermann, richtig anrührend. Unter Anleitung eines geistig behinderten Regisseurs (mit Fassbinder-Maske), nach dem Drehbuch des körperbehinderten Stephen Hawking, dreht die Truppe die deutsche Version von Pasolinis "120 Tagen" auf dem Potsdamer Platz. Und die ersten 10 Minuten ist das auch ganz witzig. Wenn etwa Irm Hermann den Saal betritt und sieht, wie Volker Spengler genüßlich am Schwanz eines nackten Komparsen saugt und die Hermann dann mit großer Nonchalance seufzt: Ach Gott, immer noch die alten Sauereien! - das hat was.
Die Darsteller werden aus dem "Rainer Werner Fassbinder Heim" reaktiviert, Udo Kier kommt aus Hollywood angeflogen, und die Russ Meyer-Ikone Kitten Natividad steht in der Landschaft und telefoniert. Soweit die Exposition.
Dann aber bricht Schlingensief sein vorher gegebenes Versprechen ("Es gibt keinen roten Faden!" schreit Jesus in der Herrentoilette) und inszeniert eine Handlung. Und wie immer verlassen ihn dabei Mut und Fähigkeiten, er ist eben, was er eigentlich ist, nämlich der brave Bub, der mit dem Spielzeug der Erwachsenen herummachen darf. Denn eigentlich kann Schlingensief weder ein Drehbuch schreiben, geschweige denn Schauspieler inszenieren, mit dem Schnitt hapert es ebenso wie mit der Dramaturgie; es kommt vor, daß trotzige Kinder mangelnde Fähigkeiten zur revolutionären Haltung verklären. Nur seltsam, daß diese Blagen immer sehr souverän agieren, wenn es darum geht, Fördermittel abzugreifen (auch dieser Film wurde mit Steuermitteln gefördert; na gut, der Eurofighter wird's auch, und: dann schon lieber Schlingensief, aber erwähnen muß man's doch mal).
Fast wäre es in den "120 Tagen" zu so etwas wie einem Statement zum Neuen Deutschen Film gekommen. Daß der nämlich vitaler und staatsfeindlicher war als das, was sich heute in Gestalt von Götz George und Katja Riemann den "Deutschen Filmpreis" von Manfred Kanther um den Hals hängen läßt. Schon recht, aber selbst wenn es so wäre: bedeutet das irgendwas?
Nicht, daß Schlingensief offenstehende Türen einrennen will, ist das Problem, sondern: da, wo er durch will, steht gar kein Haus mehr. Nur noch eine Filmförderanstalt. Und dahin hat's noch jeden deutschen Regisseur gezogen.
Man darf Katja Riemann für eine schlechte, schlampige Schauspielerin halten; eigentlich muß man sogar. Aber einen Film drehen, der tausendmal schlechter ist als alles, was die Riemann bisher gedreht hat, und sich dann an die Brust zu schlagen und zu brüllen: Höhö! Ich! Anarchie! Revolte! Pflaumenkuchen! - das ist albern. Wie gesagt: Man kann das genial finden, aber man muß nicht.
Thomas Friedrich
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