BOGUS
Whoopie im Rock
Ein chauvinstisches Retortenmärchen Gleich zu Anfang des Films baumelt Ute Lemper, die Perle aus dem Münsterland, voll gewohnter Grazie an einem Trapez im nebelverhangenen Circusfirmament. Wir befinden uns in der glitzernden, schillernden Welt einer Bühnenshow in Las Vegas. Zauber, Magie, Illusion schreibt Bogus sich in großen Lettern auf die Fahnen. Ute Lemper wird als dekoratives Glamourelement nur noch einige Halbsätze zum weiteren Gang der Dinge beitragen, und das ist vielleicht eine der wenigen wirklich weisen Entscheidungen des Regieveteranen Norman Jewison (In der Hitze der Nacht, Jesus Christ Superstar, Mondsüchtig).
Lorraine (Nancy Travis) arbeitet als Chorus-Girl in einer luxuriös ausgestatteten Show, und Lorraine ist Mutter eines entzückenden, vaterlosen siebenjährigen Sohnes. Das Drehbuch sieht schon innerhalb der ersten 15 Minuten einen schweren Schicksalsschlag vor. Vorschriftsmäßig fährt Lorraine auf dem nächtlichen Nachhauseweg bei Grün über die Kreuzung und wird von einem weniger gewissenschaften Verkehrsteilnehmer samt Cabriolet zermalmt. So geht's. Wumm. Mutti tot. Kind allein auf weiter Welt. Die illustre Circus-Community (Zauberer, Trapezgirl, Zwerg u.ä.) liebt den kleinen Albert (Haley Joel Osment - Forrest Gump Jr.) zwar über alles, aber das wilde Leben der Fahrenden ist eben nichts für so kleine Jungen. Der Magier läßt noch ein paar weiße Tauben über dem Grab der Mutter flattern, bevor der Waisenknabe testamentarisch einer ihm völlig unbekannten Halbschwester Lorraines vermacht wird.
Vom sonnigen bunten Las Vegas ab ins triste, kalte, graue New Jersey. Hier haust Harriet Franklin (Whoopi Goldberg) als Workaholic in der Gastronomiezubehör-Branche ziemlich singlemäßig vor sich hin: TV-Dinner aus der Microwelle, immer im Streß und seelisch etwas verwahrlost. Die Junggesellin, so will uns der Film glaubhaft versichern, ist in jeglicher Beziehung das absolute Gegenteil einer liebevollen Ersatzmutter. Als Harriet den kleinen Albert vom Flughafen abholt, verwandelt sie sich in dessen Vorstellung in ein zähnefletschendes Alien. Das ist eine von zwei guten Szenen in diesem Film, und wir hoffen, Whoopi Goldberg in der nächsten Alien-Folge ausführlicher in dieser Rolle bewundern zu können. Die zweite (ebenfalls nur wenige Sekunden dauernde) nette Filmsequenz steht ebenfalls in direktem Zusammenhang mit der Imaginationskraft des Knaben. Weil Albert, wie berichtet, so alleine auf der Welt ist, erfindet er sich einen großen Freund, einen Schutzengel. Aus dem Malen-nach-Zahlen-Buch der Fluggesellschaft materialisiert sich Bogus. Gerard Depardieu, immer noch Hollywoods Vorzeigefranzose Nr. 1, mimt den gutherzigen Geist, und Albert tut genau das, was wir alle seit Jahrzehnten bei jedem Depardieu-Auftritt immer schon tun wollten: Er kneift ihn prüfend in diese... Nase.
Der Rest ist vorhersehbar: Whoopi wäre nicht Whoopi, wenn sie so ekelig bliebe, wie sie sich am Anfang gibt. Natürlich lauert hinter der rauhen Schale ein dotterweicher Kern und verdrängte Erinnerungen aus eigener Waisenkindvergangenheit. Albert und sein Franzosenfreund schälen Stück für Stück das Mutterherz, das auch in dieser Frau ruht, heraus, und am Schluß muß Whoopi Goldberg sogar im Rock herumlaufen, um die Glaubwürdigkeit ihrer Verwandlung zu unterstreichen.
Bogus ist ein sentimentales, aber lieblos inszeniertes Retortenmärchen zum Jahresendzeitfest. Ein Film von der Stange für die ganze Familie, für Kinder von 8-80 zwischen Krapfenkoller und Lebkuchendelirium. Und genau unter dieser etwas zu weit gefaßten Zielgruppenpolitik leidet das abgedroschene Waisenmärchen ganz gewaltig. Filme für Kinder, die auch den Erwachsenen gefallen sollen, langweilen in der Regel generationsübergreifend. Und je mehr Bogus die kindliche Kraft der Phantasie beschwört, desto deutlicher wird, daß die Drehbuchtautoren mit eben dieser Gabe unzureichend ausgestattet sind.
Martin Schwickert
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