»THE BLACKOUT« Schuld & Sühne
Underground-Glamour von Abel Ferrara Das könnte auch der Stoff für einen Thriller sein: Matty (toll wie immer: Matthew Modine), ein gefeierter Hollywood-Schauspieler, trinkt gerne mal ein Gläschen zuviel, pfeift sich auch dann und wann die eine oder andere Koks-Linen rein und lebt ein echtes Rockstar-Leben. Als ihm seine Freundin Annie (großmündig: Beatrice Dalle) erzählt, sie sei schwanger, rastet er aus. Geht auf eine Reise. Erstmal. Kommt aber zur Besinnung, bildet sich eine Meinung und kehrt zurück. Matty hat beschlossen, sein Leben zu ändern und dem Kind ein liebender Vater zu sein, was er seiner Annie auch stolz berichtet, worauf sie allerdings weniger glücklich reagiert: Erstens wolle er sie nur heiraten, weil sie sein Kind bekomme, und zweitens habe sie es sowieso wegmachen lassen. Und drittens könne er ihr ab sofort ganz gestohlen bleiben. Annie ab, Matty endgültig am Boden. Trinkt sich einen, geht zu seinem Filmemacherkumpel Micky (Dennis Hopper), der gerade eine Art Reality-Spielfilm dreht und dafür ständig seine Videokamera laufen läßt, trinkt noch einen, sucht Annie, geht auf eine Party, spricht - jetzt endgültig vollkommen bedröhnt - eine Serviererin (Sarah Lasez) an, die auch Annie heißt, schleppt sie ab, sucht nach seiner eigentlichen Annie, zieht noch einen durch - und wacht irgendwann mit dem wohl schrecklichsten Kater seines Lebens und ohne Erinerung an die letzten Stunden auf. Wird abstinent, zieht von Miami nach New York, hat eine neue Freundin (gar nicht schlecht: Claudia Schiffer), deren Ausstrahlung er gerne mit einem Naturkostladen vergleicht, und könnte glücklich sein. Wären da nicht diese Alpträume und der Filmriß und das Gefühl, etwas furchtbar Schreckliches getan zu haben. Und Annie, seine Annie, ist wie vom Erdboden verschluckt. Hat er sie im Suff getötet? Stoff für einen Thriller, wie gesagt, weil Matty natürlich versucht, diese für ihn höchst bedeutsame Frage zu beantworten. Und dabei natürlich auf allerlei Hindernisse stößt. Aber The Blackout ist kein Thriller, The Blackout ist von Abel Ferrara, dem laut Verleihinfo "ewigen Wilden des amerikanischen Kinos", was nicht die ganze Wahrheit ist: Bad Lieutenant oder The Addiction sind zwar nicht ganz unwild, aber Ferrara hat auch Folgen von Miami Vice inszeniert und zum Beispiel das doch eher konventionele 93er Remake von Body Snatchers . Immerhin kann man sagen, daß Ferrara ein Weltbild hat, das auf den ersten Blick wie eine Mischung aus dem existenzialistischen und dem katholischen Modell aussieht, mit einem kleinen Überhang Richtung Rom - bis auf den Unterschied, daß es für Ferrara auf der Erde keine Vergebung gibt. Auch nicht für Matty, obwohl der sich doch redlich bemüht hat, die Anonymen Alkoholiker besucht und trocken ist seit 18 Monaten. Matty ist ein Sünder, was man an der Art und Weise sieht, wie er seinen Rückfall feiert, wie er die kleinen Gordons-Fläschchen aus der Mini-Bar genüßlich in den Mund gießt, wie er sein Trinken inszeniert, Posen probiert und sich einfach gefällt, nach all der Zeit des schlechten Gewissens. Natürlich beschäftigt ihn sein Verdacht immer noch, natürlich will er auch wissen, was mit seiner Annie geworden ist, aber als sie dann zu ihm kommt und er sich ihr genauso jämmerlich wie damals zeigt, ist die Sache für beide erledigt. Keine Erlösung, auch nicht für den Zuschauer. Hier gebärdet sich Ferrara wirklich wild, mischt Video mit Filmaufnahmen, montiert Schleifen, Wiederholungen, kontrastiert wirklich wilde Schnitte mit zermürbend langen Einstellungen, als versuche ein bedröhnter MTV-Regisseur, einen europäischen Film zu machen. Und mittendrin die Schauspieler - Hollywood-Berühmtheiten und ein sogenanntes Supermodel - die sich wirklich Mühe geben und dem Stilwillen des Regisseurs, seinem inhaltlichen und formalen Nonkonformismus etwas Glanz hinzufügen. Vielleicht ist Abel Ferrara kein ewig Wilder, vielleicht hat er mit seinem Werk einen kleinen Sub-Stil kreiert: Underground-Glamour. Und The Blackout ist der derzeit gültige Referenz-Film dieses Stils.
Jens Steinbrenner
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