BIG NIGHT
Nach dem Essen
Erstes Independent-Highlight des Jahres: Die High-Food-Komödie von Stanley Tucci und Campbell ScottEin gutes Essen bringt einen näher zu Gott - so erklärt der italienische Koch Primo die Bedeutung seiner Profession. Als er das tut, steht er gerade in der Küche und füttert die nette Blumenverkäuferin mit kleinen Häppchen. Und die kann nur genußvoll die Augen verdrehen vor Genuß; näher, mein Gott, zu dir.
Primo ist nicht einfach ein begnadeter Koch, er ist ein Künstler. Und wie jeder Künstler von Rang weigert er sich, sein Werk nach dem Publikumsgeschmack auszurichten. Das ist insofern fatal, als die Geschichte in den 50er Jahren spielt, in New Jersey. Primo und sein Bruder Secondo betreiben dort ein italienisches Restaurant. Und das bedeutete damals: die Leute erwarten Spaghetti, Reis mit Fleischklößchen und einen dicken Sänger, der "o sole mio" singt.
Im "Paradise" von Primo und Secondo gibt's das alles nicht, weshalb das Unternehmen kurz vor dem Bankrott steht. "Man muß den Leuten nur Zeit zu lernen geben", sagt Primo, der weiter seine kulinarischen Kunstwerke kochen will. "Dies ist ein Restaurant, keine gottverdammte Schule!" sagt sein Bruder, der das Lokal leitet und Ärger mit den Banken hat.
Um das Restaurant zu retten, kommt ein Freund der Brüder auf eine Idee: In einer "Big Night", einer Nacht der Nächte, soll via Prominentenball das kleine Lokal berühmt werden.
Big Night, das bezaubernde Erstlingswerk von Stanley Tucci und Campbell Scott, die beide auch als Schauspieler dabei sind (Tucci spielt - bravourös - Secondo, Campbell einen Autoverkäufer), hat knapp 4 Millionen Dollar gekostet; das ist in Hollywood nichts. Und 12 Millionen eingespielt. Und dies, obwohl der Film an so ziemlich allen Erwartungshaltungen vorbeisegelt: Natürlich bekommen wir einen kulinarischen Film zu sehen, einer, der das Essen und vor allem das Kochen feiert - aber am Ende, in der rührendsten Szene, wird nur ein karges Omelett gereicht; mit gutem Grund. Natürlich geht es um den Einwanderertraum: In Italien mußt du hart arbeiten und nichts passiert, hier mußt du hart arbeiten und kommst nach oben, sagt Secondo. Aber am Ende streiten sich die Brüder gerade über diesen Traum sehr heftig: Dieses Land frißt uns auf!, schreit Primo, der zurück nach Italien will.
Big Night handelt auch von der Liebe und den Frauen und den Männern. Männer reden und sagen nichts, dann reden sie wieder, dann zünden sie sich eine Zigarette an und reden wieder, sagt Isabella Rossellini als lüstern-berechnende Powerfrau. Daß sie das zu Phyllis sagt, Tuccis Freundin, ist eine kleine Gemeinheit, denn Isabella hat mit Tucci eine sehr körperliche Affäre.
Auf Robert Redfords "Sundance"-Festival gab's für das Drehbuch einen Preis. Der Film selbst hätte auch einen verdient. Ach was: mehrere. Für seine durchweg überwältigenden Schauspieler. Wegen seines klugen Rhythmus' - Big Night ist voll von rasanten Tempi-Wechseln, lange Halbtotale und blitzschnelle Schnitte bringen jede "Ach jetzt kommt bestimmt"-Erwartung zum Tanzen - und einer Kamera, die jedes Gefühl und jede Stimmung festhält als seien sie etwas handfestes. Und auch wegen eines mutigen Endes. Die leicht melancholische, sehr italienische Komik von Big Night mündet nach dem dramatischen Finale in eine große Traurigkeit. Und läßt einen doch herzerwärmt aus dem Kino gehen, mit eher fröhlicher Stimmungslage. Weil es nicht so wichtig ist, welche Schicksalsschläge wir wegzustecken haben, sondern vielmehr, was wir vorher gegessen haben. Und mit wem.
-thf-
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