DER BESUCHER Zeichen und Wunden Ein finnisches Märchen ohne viele Worte Finnisch ist eine schwere Sprache. Ob Regisseur Jukka-Pekka Valkeapää sie deshalb aus seinem Spielfilmdebüt weitgehend weggelassen hat? Der etwa zehnjährige, scheinbar stumme Junge lebt mit seiner mädchenhaft jungen Mutter in einem verfallenen Bauernhaus irgendwo in den finnischen Wäldern. Der Vater scheint in der fernen Stadt im Gefängnis zu sitzen, der Sohn Kassiber hin und her zu transportieren. Hauptsächlich aber hilft er der Mutter beim kärglichen Auskommen, sammelt Eier, holt Wasser vom Brunnen, schaut zu, wie der Wind an Bäumen und verrottenden Fassaden rüttelt. "Nicht anfasssen. Nicht anfassen!" schreit ein schwer verletzter junger Mann nach einer halben stillen Stunde am Rande des Anwesens. Arg verschandelt liegt der Fremde da im Gras, und neugierig fingert der Junge an Blut und Wunden. Schleppt den Fund zur Mutter, die sich über nichts wundert, besucht den Vater, der vom Besucher weiß. Die Mutter päppelt den Besucher wortlos auf, der Besucher zähmt ein ungebärdiges Pferd auf der Koppel, der Sohn sitzt stumm dabei und guckt. Und guckt so intensiv, dass sich der Zuschauer schon sehr bald fragt, ob das, was Jukka-Pekka Valkeapää uns zeigt, nicht eigentlich nur das ist, was sich der Junge denkt. Hockt da wirklich ein Rabe als Todesbote auf dem Frühstückstisch? Oder sind wir in einer Saga? Altert die Mutter in einem Sommer von Strohblond bis zum ersten Silberschimmer grauer Haare, oder hat der Junge am glücklichen Anfang nur nicht richtig hingesehen? Der Junge lernt reiten, der Besucher schläft in Mutters Bett. Hier wirft die Natur einen Zaun um, dort trampeln offensichtlich eingebildete Schritte auf dem Dachboden Staub los, fast bis die Dielen brechen. Immer deutlicher wird, dass die wundervoll rätselhaften Bilder vom wilden Wald, vom bröckelnden Brunnen, vom jagenden Pferd, Einbildungsbilder sind. Und dass uns der Film auch am Ende keine Auflösung präsentieren wird. Kenner der finnischen Sagenwelt haben angeblich viele klassische Anspielungen gesehen, aber auch Ignoranten bemerken, dass Pferd und Grammophon, Huhn und Kartenspiel Symbole sind. Der Besucher sieht für Südeuropäer, also jeden ab Helsinki abwärts, aus wie die Gesprächspausen aus allen Eric Rohmer-Filmen am Stück. Zum Glück verzichtet Jukka-Pekka Valkeapää auf die Kaurimsmäki-Tangounseeligkeit. Nur ein bisschen Sounddesign hilft, beim knorrigen Erwachsen werden die Ebenen zu wechseln. Wing Muukalainen. Finn. / Estl / D / GB 2008, R: Jukka-Pekka Valkeapää B: Jukka-Pekka Valkeapää, Jan Forsström K: Tuomo Hutri D: Vitali Bobrov, Pavel Liska, Jorma Tommila, Emilia Ikäheimo
|