LIBERACE - ZUVIEL DES GUTEN IST WUNDERVOLL

Der Glitzermann

Steven Soderbergh schaut hinter Kostüme, Kulissen und Kandelaber

Seinen größten Erfolg hatte Liberace, der André Rieu des amerikanischen Show-Klaviers, als er 1982 die für den Oscar nominierten Filmscores in einem Live-Medley präsentieren durfte. Da war er schon 40 Jahre lang im Showgeschäft und hatte es vom "Wunderkind" über den "schnellsten Pianisten der Welt" zum schillernden Phänomen gebracht. Angetan mit einem diamantenbesetzten Anzug und einem Chinchilla-Mantel ließ er sich in einem Rolls Royce auf seine Bühnen kutschieren, verband virtuose Fingertechnik mit leicht anzüglichen Moderationen und riss vor allem ältere Damen in Las-Vegas-Shows reihenweise hin. Und jüngere Männer, abseits der Öffentlichkeit. Einer davon war Scott Thorson, der als 16-jähriger den Wundermann kennenlernt und die nächsten Jahre sein Liebhaber und fast ein Sohn wird. In einer Zeit, als Homosexualität gerade eben nicht mehr als behandlungsbedürftige Krankheit gilt. Es ist die alte Geschichte: Junge trifft Mann, Junge liebt Mann, Mann liebt andere Jungs, Junge verklagt Mann. Und schreibt ein Buch, später, als Liberace, nach Rock Hudson der zweite ganz große Prominente, an AIDS verstarb.

Steven Soderbergh hat Thorsons Behind the Candelabra für den Pay-TV-Sender HBO verfilmt, weil das etablierte Hollywood den schwulen Stoff immer noch nicht anfassen wollte. Einen Oscar kann er dafür nicht gewinnen, weil der Film trotz überragender Kritiken in Amerika nicht ins Kino kam. Michael Douglas spielt den grenzenlosen Showman mit allen Facetten voll aus. Er ist ein egomanisches Ekel und ein wirklich liebevoller Freund. Er ist ganz versessen auf den jungen Scott und zugleich so gefangen in seinem eigenen öffentlichen Image, dass er den Jungen zu Schönheitsoperationen drängt, die ihn ihm ähnlicher machen. Matt Damon gibt den gar nicht so naiven Jugendlichen überzeugend und gewinnt Profil unter der angeschminkten Liberace-Maske, als der Karriere-Schachzug, sich mit dem berühmtesten unbekannten Schwulen der Nation einzulassen, allmählich in wahre Liebe umschlägt. So ganz genau arbeitet der Film nicht heraus, wer wann mit wem welchen Sex hatte, aber wer will das eigentlich wissen? Es ist schön genug, wenn Scott auf der Begräbnis-Zeremonie für Liberace plötzlich den Sarg weg klappt und einen Show-Act imaginiert, in dem die Lady Gaga von damals über den Bühnen-Himmel fliegt und vom "Impossible Dream" singt. Und am schönsten ist es, dass Soderbergh, der wütend das mutlose Kino-System verließ, nun fürīs Fernsehen keine Tabus bricht. Es gibt keine Tuntenparade, keinen Käfig voller Narren, nicht mal Anspielungen auf die Wonderland-Morde im Porno-Mileu der Zeit, zu denen Scott als Zeuge gehört wurde. Hinter all dem Glitzer und Fummel liegt die alte Geschichte: Junge liebt Mann, Mann liebt Jungen.

Wing

USA 2013. R: Steven Soderbergh B: Richard LaGravense K: Steven Soderbergh D: Michael Douglas, Matt Damon, Dan Aykroyd, Scott Bakula, Rob Lowe