GOODBYE BAFANA

Untern Teppich gemenschelt

Bille Augusts historisch wackeliger Film über Nelson Mandela will alle versöhnen

James Gregory trägt die Blechdose in der Brusttasche seiner Uniform direkt über dem Herzen. Darin befindet sich eine Hasenpfote, die der weiße Gefängniswärter in Kindertagen von seinem schwarzen Spielgefährten als Talisman bekommen hat. Darunter liegt ein klein zusammengefaltetes Papier mit einem großen roten Stempel, der die politische Brisanz des Dokumentes anzeigt: Es ist die Freiheits-Charta des ANC, die der südafrikanische Justizvollzugsbeamte aus dem Giftschrank einer Bibliothek entwendet hat. Wenn James im Büro alleine ist, kramt er das Papier heraus und studiert es mit nervösen Blicken. Die mimischen Anstrengungen von Joseph Fiennes und die anschwellende Musik aus dem Off signalisieren unmissverständlich, dass die Worte im Kopf des Rezipienten einen ungeheuerlichen Bewusstseinsprozess in Gang setzen.
Es ist eine klassische Bekehrungsgeschichte, die Bille August in Goodbye Bafana erzählt. Ende der sechziger Jahre wird James Gregory mit seiner Familie auf die Gefängnisinsel Robben Island versetzt und ist fortan für die Überwachung der politischen Häftlinge zuständig - darunter auch die des Vorsitzenden des ANC, Nelson Mandela. Unter dem Einfluss des charismatischen Gefangenen entwickelt sich der rassistische Wärter zum Gegner des Apartheidsystems, der sich jedoch weiterhin den Dienstvorschriften seines Berufes unterordnet.
Für das staatstragende Pflichtbewusstsein und das erwachende Gutmenschentum wird Gregory schließlich von der Historie belohnt. Ende der Achtziger, als das rassistische Regime langsam in die Knie geht, darf er den prominenten Gefangenen auf seinem schrittweisen Weg in die Freiheit begleiten.
Nelson Mandela ist eine der letzten konsensfähigen Ikonen unserer Zeit, und Goodbye Bafana merkt man die Last der Verantwortung für die historische Figur deutlich an. In einer braven Stationendramaturgie fädelt August die politischen Erweckungserlebnisse aneinander, um seine weiße Identifikationsfigur möglichst zügig auf die Seite der Gerechtigkeit zu ziehen. Mandela wiederum, den Dennis Haysbert mit der sonoren Aura eines Weihnachtsmanns versieht, verhält sich in jeder Filmminute so, wie man es von einem zukünftigen Friedensnobelpreisträger erwartet.
Das ist nicht nur furchtbar langweilig, sondern auch historisch unwahrscheinlich. August hat sich mit seinem Film an den in Südafrika recht umstrittenen Memoiren von James Gregory orientiert. Mitgefangene Mandelas bezichtigten den Wärter, sich mit dem prominenten Häftling nur angefreundet zu haben, um ihn besser aushorchen zu können.
Mandela selbst findet in seiner Autobiografie nur zwei unverbindlich freundliche Sätze für seinen früheren Bewacher. Gregorys Buch hingegen umfasst satte 384 Seiten, und der Mandela-Biograf Anthony Sampson vermutet wohl nicht zu Unrecht, dass viele seiner Berichte "halluziniert" seien.
Das alles spräche für einen kritischeren Umgang mit der Quelle, nicht gegen das Sujet. Im Gegenteil: Diese Widersprüche machen neugierig auf einen anderen Film. Einen, der die Beziehung und das wechselnde Abhängigkeitsverhältnis von Gefangenem und Wärter ungeschönt ausleuchtet. Der davon erzählt, wie das Weltbild des Rassisten und das damit verbundene überlegene Selbstbewusstsein in die Krise gerät. Aber August menschelt in seinem politisch überkorrekten Rührstück von Anbeginn alle potenziellen Konflikte unter den Teppich und schwört sich auf Mandelas Versöhnungsgedanken ein, ohne überhaupt zu zeigen, was es da zu vergeben gäbe.

Martin Schwickert

D/B/Südafrika/GB/LUX 2007 R: Bille August B: Bob Graham, James Gregory K: Robert Fraisse D: Joseph Fiennes, Dennis Haysbert, Diane Kruger , 140 Min.