BAADER
Der Gucci-Bomber
Die RAF aus dem Blickwinkel der Spaßgesellschaft Filmfestivals sind oft wie Schnellgerichtsverfahren. Als Christopher Roths Baader im diesjährigen Wettbewerb der Berlinale lief, war man sich bald einig: So lax kann und darf man nicht mit den historischen Tatsachen umgehen. Geschichtsverfälschung kreidete man dem Film an. Immerhin hatte Roth seinem Andreas Baader, der in Wirklichkeit 1972 vor laufenden Polizeikameras in Unterhosen abgeführt wurde, am Schluss einen erstklassigen Filmheldentod im feindlichen Kugelhagel verpasst. Darf man das? "Warum nicht?" ist eine mögliche Antwort und "Warum?" eine ebenso berechtigte Frage. Andreas Baader und die RAF gehören zu den wenigen historischen Mythen, die die brave Geschichte der alten Bundesrepublik hervorgebracht hat. Deshalb hat auch jeder, der seine politische Jugend zwischen 1968 und 1989 in Westdeutschland verbracht hat, sein eigenes Bild von der sogenannten Stadtguerilla. Die einen stellten ihre Märtyrer- und Heiligenbildchen zu Hause in der Glasvitrine auf, die anderen grenzten sich mit dem Zerrbild des fanatisierten Terroristen von dem zeitgeschichtlichen Phänomen ab. Regisseur Christopher Roth ist Jahrgang 1965. Als Gudrun Ensslin und Andreas Baader 1969 in einem Frankfurter Kaufhaus ihren ersten Brandsatz versteckten, spielte Roth noch im Sandkasten. Seine Generation wurde von Alt-68ern unterrichtet, die auf dem Marsch durch die Institutionen im beamteten Schuldienst strandeten. Die Revolte von damals war längst zum Zitat verkommen, wie später die Schlaghosen aus dem Second Hand. Von dort, aus dem Second-Hand-Laden, blickt Roth auf den Baader-Mythos. Respektlos, weil es Spaß macht die Idole seiner Sozialkunde-Lehrer anzupinkeln. Schnoddrig, weil das Thema schon mehrfach durch die Gedärme der Mediengesellschaft geschleust wurde. Fasziniert, weil die Baader-Ikone für eine Rebellion steht, die die Generation XYZ am Computerbildschirm verschlafen hat. Roth inszeniert die RAF als Lifestyle-Variante. Frank Giering spielt den Revoluzzer Andreas Baader als charismatischen Macho, der Frauen und Männer gleichermaßen in seinen Bann zieht. Die sperrigen Parolen der 68er klingen aus seinem Mund wie coole Rap-Slogans aus den 90ern. Baaders Kraft liegt darin, dass er die Diskrepanz zwischen Theorie und Tat überbrückt und damit die divergierenden Pole der Studentenbewegung miteinander kurzschließt, wie die Zündkabel der Autos, die er klaut. Baader steht auf BMWs. Das ist eine Frage des Stils und des Spiels mit den Statussymbolen der bürgerlichen Gesellschaft. Später im Untergrund kommen die Hippieklamotten auf den Müll. Baader und Gudrun Ensslin (Laura Tonke) reisen mit Anzug und Kostümchen durch die Fahndungsgesellschaft, immer ein gestelltes Hochzeitsbild in der Brieftasche. Die Illegalität als Spielwiese und nicht nur als düsteres Rückzugsgebiet vor der Repression. Roth schaut immer wieder durch die Brille der Spaßgesellschaft auf die bierernste Politgruppenmotorik der frühen RAF. Im Ausbildungslager der palästinensischen Fatah weigert sich Baader, seine rote Samthose gegen Camouflage auszutauschen. In der Mittagspause lungert die Stadtguerilla nackt in der Sonne wie eine gelangweilte Touristengruppe auf den Balearen. Auf der anderen Seite der Barrikade sitzt der neue Chef des BKA Kurt Krone (Vadim Glowna) - der im echten Leben Horst Herold hieß - und träumt in gigantischen Computerräumen von Rasterfahndungsmodellen. Weil Baader deutsche Geschichte als Genrefilm inszeniert, konstruiert er wie jeder gute Krimi ein libidinöses Verhältnis zwischen Jäger und Gejagtem. Nachts auf einer Landstraße treffen Baader und Krone aufeinander und plaudern wie alte Bekannte, bevor sie zehn Filmminuten später wieder zum Showdown in die Arena treten. Auch das ein dreiste Fiktionalisierung der Historie und keine schlechte Idee. Schließlich prägte das Hass-Liebe-Verhältnis zwischen der RAF und "ihrem" Repressionsapparat nachhaltig die Geschichte der BRD in den folgenden Jahrzehnten. Aber was macht Roth mit dieser Szene? Er lässt sie verpuffen in pseudolockerem Rivalengequackel. Und so ist es oft in diesem Film. Durch den respektlosen Umgang mit den Ikonen der politisierten 70er Jahre wird die verhärtete Historie aufgeweicht, aber die vielversprechenden Fährten des Films führen unter Roths Regie immer wieder ins Nichts. Was bleibt ist eine interessant misslungene Dekonstruktion des RAF-Mythos, der jedoch einfach der intellektuelle Resonanzboden fehlt.
Martin Schwickert
R: Christopher Roth. B: Christopher Roth, Moritz von Uslar. K. Bella Halben, Jutta Pohlmann. D: Frank Giering, Laura Tonke, Vadim Glowna, Birge Schade
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