»ARLINGTON ROAD«

Vorsicht, Nachbar!

Das Böse wohnt nebenan und hat Familie

Hollywood ist nicht nur Traumfabrik, sondern auch eine virtuelle Heilanstalt für die traumageplagte Seele der Nation. Seit geraumer Zeit wird die USA immer wieder von terroristischen Gewaltakten heimgesucht, und auch die Drehbuchschreiber der Filmindustrie zeigen sich zunehmend besorgt. Filme wie Peacemaker reagierten mit bewährten Rezepten: das terroristische Böse wurde an nicht-amerikanische Wirrköpfe (Russenmafia, bosnische Rächer, fanatische Islamisten u.ä.) delegiert und von einheimischen Profis (FBI, CIA, LAPD etc.) eliminiert. Spätestens seit dem Anschlag in Oklahoma City 1995 geht diese Rechnung jedoch nicht mehr auf, denn hier wurde klar: das Böse kommt in Form von rechtsradikalen Bombenlegern aus der eigenen Gesellschaft.
Der Geschichtsprofessor Michael Faraday (Jeff Bridges) referiert in seinen Vorlesungen genau über jene Phänomene. Minutiös beschreibt er die Anschläge und die Ergebnisse der Untersuchungen, die immer Einzeltäter für die Terrorakte verantwortlich machen, um die Gesellschaft zu beruhigen. Faraday glaubt nicht an die vorgetäuschte Sicherheit und er weiß, wovon er spricht - ist seine Frau doch im FBI-Einsatz gegen eine verdächtige Gruppierung ums Leben gekommen. Mit seinem Sohn wohnt der Witwer in einer sauberen Vorstadtsiedlung. Als im Hause gegenüber eine neue nette Nachbarsfamilie einzieht, wird er auf einige biographischen Ungereimtheiten in den Erzählungen von Oliver Lang (Tim Robbins) aufmerksam. Während sich sein Sohn mit den Nachbarskindern anfreundet, beginnt Faraday zu recherchieren, und langsam erhärtet sich der Verdacht, daß sich hinter der biederen Familienfassade der Langs möglicherweise eine rechtsterroristische Verschwörung verbirgt. Für den Geschichtsprofessor wird es Zeit, den Helden zu spielen.
Das Familienideal ist immer noch die Keimzelle gesellschaftlichen Selbstbewußtseins in den USA. Daß Arlington Road ausgerechtnet eine saubere amerikanische Mittelstandsfamilie als Zentrum des Bösen darstellt, darf als Provokation nicht unterschätzt werden. Tim Robbins und Joan Cusack verbinden in ihrer präzisen Darstellung des Ehepaars eindringlich biedere Normalität und gewalttätige Abgründe. Wie in allen Filmen zum Thema Terrorismus gibt es auch hier immer wieder Punkte, an denen man ein Umkippen ins Reaktionäre befürchten muß. Aber dort, wo andere zur Formulierung von einfachen politischen Botschaften ausholen, entscheidet sich Regisseur Mark Pellington immer wieder für die Aufrechterhaltung des Spannungsbogens. Denn jenseits aller gesellschaftlichen Analysen ist Arlington Road vor allem ein gut funktionierender, packender Thriller. Die lauernde, unruhige Kamera von Bobby Bukowski und die schrille Suspense-Musik von Angelo Badalamenti, der fast alle Filme von David Lynch vertont hat, kratzen mit großem Eifer am Nervenkostüm des Zuschauers. Ausgebleichte Farben und spärlich ausgeleuchtete Einstellungen verwandeln die schnuckelige Vorstadtsiedlung in einen Ort der Bedrohung, und wenn Jeff Bridges als klassischer Held wider Willen losstürzt, um großes Unheil zu verhindern, ist auch die Kamera nicht mehr zu halten.
Auch wenn Arlington Road vielleicht nicht ganz die anvisierte Klasse von Das Schweigen der Lämmer oder Sieben erreicht, ist Pellington ein intelligenter, ambitionierter Thriller gelungen, der seine Spannung bis zur allerletzten Minute bewahrt.

Martin Schwickert