EIN LIED FÜR ARGYRIS

Wiedergutmachung

Ein Dokumentarfilm über deutsche Gräuel in Griechenland

Argyris Sfountouris ist weit über 60, spricht schwyzerdütsch bis zur Unverständlichkeit und findet es moralisch verkommen, dass der deutsche Botschafter in Griechenland neulich um "Entschuldigung" dafür bat, dass deutsche Soldaten in Argyris' griechischem Heimatdorf Distomo ein Massaker anrichteten. "Wir sind heute Verbündete" sagt der sichtlich zwischen Gefühl und Amt zerrissene Botschafter, "und unter Verbündeten redet man nicht über Reparationen".
Stefan Haupt sieht das wohl anders. Sonst hätte der Schweizer Dokumentarfilmer nach seinem international erfolgreichen Elisabeth Kübler-Ross - Dem Tod ins Gesicht sehen kaum die Lebensgeschichte von Argyris Sfountouris als nächstes Thema gewählt. Das Kind Argyris entkommt im Sommer 1944, kurz nach der Invasion der Alliierten, durch Zufall einer SS-Strafaktion. Um sich für Partisanen-Angriffe zu rächen, schlachten die Truppen die Dorfbewohner von Distomo hin und benehmen sich dabei so brutal, dass ein Soldat sogar eine Beschwerde nach Berlin schreibt. Er wird an die Ostfront versetzt und fällt.
Argyris kommt in ein internationales Kinderdorf für Kriegswaisen in der Schweiz ... und hier versagt Haupts Film zum ersten Mal, weil er nur auf seine Hauptperson guckt. Was ist mit den Schwestern von Argyris, die später wieder auftauchen? Was ist mit dem Film, der im Kinderdorf gedreht wurde? Kamen dort auch deutsche Waisen unter?
Statt von journalistischer Recherche lebt Ein Lied für Argyris von packenden Bildern und Montagen. Deutsche Bomben fallen zu Beethoven-Klängen, wenn sich Argyris heute wundert, wie ein Kulturvolk so grausam sein konnte. Ganz Distomo klatscht, als der deutsche Botschafter endlich am Gedenktag des Massakers teilnimmt, aber vorher ist er ohne erkennbare Regung am alten Argyris vorbeigegangen.
Außer Argyris selbst kommt oft auch Mikis Theodorakis als Zeitzeuge zu Wort, und dann kippt die Dokumentation zur allgemeinen Seite aus der Form. Das exemplarische Einzelschicksal geht in historischen Aufnahmen von Theodorakis' Befreiungskonzert in Athen verloren. Und von dort bis zu Argyris' kürzlich abgewiesener Klage gegen die Bundesrepublik auf Wiedergutmachung stellt sich kein Zusammenhang mehr her. Als journalistische Arbeit ist Stefan Haupts Dokumentarfilm so nicht zu gebrauchen, als emotionale Lebensgeschichte packt er aber doch.

WING

CH 2006, R/B: Stefan Haupt, K: Patrick Lindenmaier