ANONYMA - EIN FRAU IN BERLIN

Kein Thema

Vor acht Jahren wurden die Untaten der Roten Armee plötzlich zum Thema.

Wie oft?" fragt eine Frau die andere. Eine Zahl wird genannt und kein weiteres Wort darüber verloren. Vergewaltigung ist Alltag in Berlin im Frühjahr 1945. Die Rote Armee feiert ihren Sieg und die Frauen gehören zur Kriegsbeute.

Über die Massenvergewaltigungen durch die sowjetischen Soldaten wurde bis heute wenig geredet. Als Ende der Fünfziger Jahre das Tagebuch einer anonymen Autorin veröffentlicht wurde, in dem sie schonungslos ihre Erlebnisse im Berlin des Jahres 1945 niedergeschrieben hatte, blieb das Buch, das im Ausland bereits erfolgreich verlegt worden war, im Wirtschaftswunder-Deutschland weitgehend unbemerkt. Erst als Hans Magnus Enzensberger den Bericht 2000 neu veröffentlichte, fanden die Tagebuchaufzeichnungen eine breite Öffentlichkeit.

Im Windschatten des Geschichtsbooms im deutschen Kino hat Max Färberböck ( Aimee und Jaguar ) das Buch für die Leinwand adaptiert und macht sich dabei die Grundhaltung der Autorin zu eigen, die sich trotz erlittener Qualen sehr differenziert mit den russischen Besatzern auseinandersetzt.

Nina Hoss spielt die gebildete Frau, die sich allein durch die chaotischen Zustände im zerstörten Berlin kämpft. Nach mehrfacher Vergewaltigung beschließt sie, sich einen "Wolf" anzuschaffen - einen ranghohen Offizier (Evgeny Sidikhin), dem sie sich freiwillig zur Verfügung stellt, um sich die anderen Soldaten vom Leib zu halten. Aus dem sexuellen Zweckbündnis erwachsen liebesähnliche Gefühle, die jedoch nicht vergessen lassen können, dass die beiden feindlichen Lagern angehören.

Im Vergleich zum Buch wurde diese Beziehung zwischen den Fronten deutlich intensiviert. Ob dahinter das hehre Ideal der Völkerfreundschaft oder das zwanghafte Verlangen nach einer angedeuteten Liebesgeschichte steht, bleibt ungewiss. Verzichtbar ist diese dramaturgische Manipulation auf jeden Fall. Denn auch ohne amouröse Verwicklungen bietet der Lebensbericht der anonymen Erzählerin genug Stoff für eine differenzierte Betrachtung des Täter-Opfer-Verhältnisses.

Wenn die Frauen mit den russischen Soldaten am Küchentisch feiern, verschwimmen bei Wodka, Wurst und Akkordeonklängen die Grenzen zwischen Siegern und Besiegten, ohne dass sich am sexuellen Gewaltverhältnis grundsätzlich etwas ändert. Färberböck hütet sich weitestgehend vor überschwänglichen Dramatisierungen. Nur auf der Tonspur gleitet der Film oftmals ins Plakative ab.

Trotz wackeliger Handkameraaufnahmen durch düstere Kellergänge und sorgfältig aufeinander geschichteten Schutthaufen - die vollkommen chaotische Atmosphäre im zerstörten Berlin, die das Buch außerordentlich eindringlich beschreibt, will sich auf der Leinwand nicht wirklich herstellen.

Und so trägt vor allem Nina Hoss diesen Film auf ihren Schultern, die der Figur trotz erlittenem Leid immer auch eine gewisse Unantastbarkeit bewahrt.

Martin Schwickert

D 2008 R&B: Max Färberböck K: Benedict Neuenfels D: Nina Hoss, Evgeny Sidikhin, Irm Hermann