»ANATOMIE«

Trittbrettfahrer

»Scream« in Heidelberg


vom selben Regisseur: Die Siebtelbauern

Der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky bezeichnet seinen neuen Film als "die europäische Antwort auf Scream ". Sogar das Filmplakat sieht denen der amerikanischen Vorläuferfilme zum Verwechseln ähnlich, und die deutsche Dependance eines US-Majors zeichnet für die Produktion verantwortlich. Der Tatort aber könnte deutscher kaum sein. Heidelberg mit seinem malerischen Altbaubestand ist für jeden ausländischen Touristen ein Inbegriff deutscher Gemütlichkeit, die altehrwürdige Universität des Neckarstädtchens ist als Schauplatz für einen Horrorfilm sicherlich gut gewählt.
Ebenda bildet Professor Grombek (Traugott Bure) in den Sommersemesterferien seine Elitestudenten am Seziertisch aus. In den Katakomben des Anatomietrakts kommt die ehrgeizige Medizinstudentin Paula (Franka Potente) dem Bund der sogenannten Antihippokraten auf die Spur, die, von fanatischem Wissenschaftsgeist getrieben, nicht nur Leichen, sondern auch lebende Probanden für ihre medizinischen Experimente missbrauchen. Die Geschichte der Geheimloge geht bis weit ins Mittelalter zurück, NS-Ärzte wie Mengele - so wird behauptet - gehörten zu den prominentesten Mitgliedern.
Das ist der etwas bemühte politische Hintergrund für einen leichenfleddernden Horrortrip nach gewohnten Strickmuster. Regisseur Ruzowitzky hat die Genreregeln gut gelernt: Leichname zucken effektvoll auf dem Seziertisch, Schneidwerk arbeitet sich in Nahaufnahme durch lebendes und totes Fleisch, und hinter jeder Ecke darf ein Kommilitone mit dem Skalpell vermutet werden. Heldin Paula begibt sich regelmäßig in unübersichtliche Gefahrensituationen, schließlich findet sie sogar ihre Mitbewohnerin ausgestopft im anatomischen Ausstellungsraum.
Das alles ist aufrichtig ekelig, aber trotzdem nicht wirklich spannend. Maßstabgetreu wird hier die Billigdramaturgie der US-Teeniekreischfilme herüberkopiert und in der vertrauten einheimischen Kulisse kommt die Eintönigkeit der Genregesetze noch deutlicher zum Vorschein. Filme wie Nightwatch von dem Dänen Ole Bornedal haben erfolgreich gezeigt, dass man im Horrorfilm auch eigene Wege gehen kann, und Regisseur Ruzowitzky hat sich mit seinem Alpenwestern Die Siebtelbauern als eigenwilliger Genrefilmer einen Namen gemacht. Mit Anatomie regrediert er allerdings zum willenlosen Nachahmungstäter.

Martin Schwickert