AMER

Ins Messer

Eine 70-Ts-Hommage fast ohne Worte

Holla! Split-Screens wie in alten englischen Krimis, repetitive Schräbbelmusik wie in frühen Carpenter-Knallern, Reiß-Zooms, willkürlich zwischen objektiver, subjektiver und man weiß nicht von wo guckender Kamera, große Kinderaugen, alte Augen, Augen hinter Schlüssellöchern, Augen hinter Schleiern, drehende Türknöpfe, Vogelleichen, unverständlich streitende Schlafzimmerwand, ein Rosenkranz, eine Bohnensuppe und schließlich ein ziemlich toter und sehr alter Mann, vor dem das kleine Mädchen Ana, das stumm und ziellos durch die erste halbe Stunde von Amer wandert, so gar keine Angst hat. Jedenfalls weniger als vor den Eltern, die viel Sex haben und Angst vor irgendwas.

Die Filmemacher Hélène Cattet und Bruno Forzani stürzen uns in ihrem ersten Langfilm kopfüber und bauchoben in ihre von Buñuel bis Dalì zusammenzitierte Kunstwelt zeitloser 70er Jahre, in der einer in gewagter Überblendung halbwüchsig gewordenen Ana eine Ameise aus dem Bauchnabel kriecht, bevor wieder der Reigen aus Augen, Körperteilen und sexuell aufgeladenen Teilbildern die Verwirrung steigert.

Was früher ein dunkles, knarrendes Haus voller Geschichte war, ist jetzt ein südfranzösisches Dorf mit fußballspielenden Straßenkindern und einer verheißungsvoll posierenden Motorradgang. Schon ein Bild später ist Ana erwachsen und verbrennt sich im kurzen Kleidchen den Schenkel am heißen Leder der Sitze eines Taxis. Dass ihr Sommerfähnchen dann im Fahrtwind zerreißt, ist natürlich ein Traum, aber wer hätte den nicht?

Sie kehrt zurück ins Haus ihrer Kindheit. Und zu süßlicher Musik kratzen die Pflanzen des überwucherten Gartens soundverstärkt an ihrer Haut. Jedes Bild bis hier hin sah schon aus wie der effektvolle Höhepunkt der psychotischen Episode eines normalen Horror-Films, und bis jetzt ist noch kein Tropfen Blut geflossen. Aber eine halbe Stunde kommt noch.

Eine wirkliche Geschichte jedoch nicht. Etwas hektisch verbindet der dritte Teil des nahezu dialoglosen Triptychons die Themen Tod und Sex, Augen und Tod, Angst und Tod. Und natürlich Augen und Rasiermesser, weil sonst die Kunstkritik nichts zu jubeln hätte.

Das ist im Ansatz faszinierend und in der Ausführung kunsthandwerklich hoch begabt. Allerdings reichen die Ideen eigentlich nur für einen halben Film, während umgekehrt das Finale eigentlich eine etwas konzentriertere Exposition erfordert hätte. So kommt am Ende bloß heraus, dass auch die stylishste Fetisierung ins eigene Messer laufen kann.

Wing

B / F 2009. R + B: Hélène Cattet, Bruno Forzani, K: Manuel Dacosse, D: Cassandra Forêt, Charlotte Eugéne-Guibbaud, Marie Bos