»ALLES ÜBER MEINE MUTTER« Das pralle Leben
Pedro Almodóvar baut eine schrille Ideal-Familie zusammen In den Filmen von Pedro Almodóvar sind Männer meist nur eine entbehrliche Randerscheinung. Denn Almodóvar gehört zu den wenigen Regisseuren, die in der Lage sind, differenzierte und kraftvolle Frauencharaktere auf die Leinwand zu bringen, ohne in traditionelle Bilder zu verfallen. All die Stärken und Schwächen, die andere Regisseure immer so sorgfältig stereotyp zwischen Männern und Frauen aufteilen, bündelt Almodóvar in seinen weiblichen Hauptfiguren. Auch sein neuer Film ist ein "Frauenfilm" im besten Sinne, und die wenigen Männer, die hier auftauchen, haben alles dafür getan, ihre maskuline Vergangenheit vermittels plastischer Chirurgie abzustreifen. Es gehört schon einiges dazu, schwangere Nonnen, verblühende Theaterdiven, transsexuelle Prostituierte, heroinabhängige Lesben und kindszeugende Transvestiten in einem Film zusammenzubringen. Dabei beginnt Almodóvars "Screwball Drama" (Eigenbezeichnung des Regisseurs) in moderat-melancholischen Grundton. Manuela (Cecilia Roth) führt in Madrid als Angestellte einer Organspende-Klinik mit ihrem unehelichen Sohn Esteban ein zufriedenes, zurückgezogenes Leben. Als Esteban jedoch bei einen Autounfall tödlich verunglückt, macht sich Manuela in Barcelona auf die Suche nach dem Vater ihres Sohnes, den sie vor der Geburt verlassen hat. Der Vater heißt jetzt Lola, hat einen Silikon-Busen und treibt sich in der Transvestiten-Szene herum. Auf dem Straßenstrich am Stadtrand trifft Manuela auf einen alten Freund, den weitherzigen Transsexuellen La Agrado, der ihr seine Hilfe bei der Suche nach Lola anbietet. Im schrillen Szeneleben von Barcelona verlässt Manuela die Trauer um den Verlust ihres Sohnes. Sie lernt die Theaterdiva Huma Rojo kennen, die in Tennesse Williams "Endstation Sehnsucht" auf der Bühne steht. Auch im echten Leben sorgt Humas zerstörerische Beziehung zu der jungen Fixerin Nina für dramatische Szenen. Dann ist da noch die schöne Schwester Rosa, die sich als Nonne ein wenig zu intensiv um die verlorenen Seelen der Prostituierten-Szene gekümmert hat und ausgerechnet von Manuelas Ex-Geliebten Lola schwanger ist. Die Verwicklungen sind dramatisch, die Turbulenzen enorm und die Krisen werden mit viel Aufregung und grenzenloser Großherzigkeit gemeistert. Am Schluss entsteht für kurze Zeit aus der Vielzahl der exzentrischen Außenseiterinnen so etwas wie eine vaterlose Idealfamilie. In Alles über meine Mutter verbindet sich die schrille Skurrilität, die in frühen Filmen zu Almodovars Markenzeichen wurde, mit der eher gelassenen Lebensweisheit, die seine letzten Filme Mein blühendes Geheimnis und Live Flesh auszeichneten. Diese geniale Mischung aus Soap Opera, Klassikerzitaten, Screwball-Comedy, Melodram, schwuler Familienfantasie, christlichem Erbauungsstück und greller Transvestitenshow setzt ungeahnte Energien frei. Das beherzte Krisenmanagment, das patente Mit- und Umeinander und die turbulente Lebenslust der echten und falschen Damen haben unmittelbar ansteckenden Charakter. Wer nach dem Kinobesuch noch schlechte Laune verspürt, sollte sich in ärztliche Behandlung begeben.
Martin Schwickert
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