»ALLE SAGEN: I LOVE YOU«

Sidesinging

Endlich: Woody Allens erstes Musical

New York ist schön. Das haben wir schon in Manhattan gesehen. Paris und Venedig sind auch schön und neben NY Woody Allens Lieblingsstädte. Gershwin ist schön, die klassischen amerikanischen Schlager, die heftig ins Jazzige lappen, Irving Berlin, Cole Porter und die anderen, die immer in Woody-Allen-Soundtracks zu hören sind. Was liegt also näher, als all diese Vorlieben zu verbinden in einem Film? Also. Trotzdem waren wir sehr... nunja, befremdet, als wir am Anfang von Alle sagen: I love you im schönsten New Yorker Frühlingssonnenschein ein junges Paar, offenbar schwer verliebt, einander haben ansingen sehen. Das kann nicht sein, dachten wir, was soll das, ist er jetzt endgültig abgedreht? Aber man sah auch, daß die Szene bei aller Schlichtheit sehr sorgsam choreographiert war, und man hörte, daß die singenden Liebenden - Drew Barrymore und Edward Norton - nicht besonders gut singen konnten. Was dem ganzen ein bißchen Abstand gibt; es ist um genau die Winzigkeit neben der Spur, daß das Befremden nicht in Peinlichkeit umschlägt. Als der Song dann zuende war und die jugendliche Ich-Erzählerin begann, die Liebenden, sich selbst und überhaupt alle, um die es in Alle sagen: I love you geht, vorzustellen, war eigentlich schon alles klar. Weil Mr. Allen eben Filme machen und Drehbücher schreiben kann: Daran, daß er auch einen Singfilm mit Tanz inzenieren kann - und zwar richtig - gab es keinen ernsthaften Zweifel.
"Wir sind nicht die Art von Familie, die man gewöhnlich in einer musikalischen Komödie antrifft," erzählt die jugendliche Ich-Erzählerin am Anfang, und stellt ihre Mutter (Goldie Hawn), ihren Stiefvater (Alan Alda), verschiedene Brüder und Schwestern und schließlich ihren leiblichen Vater (Woody Allen) vor: "Er lebt in Paris, aber er kommt oft zu Besuch. Und wenn Sie mich fragen, ist er immer noch in Mom verliebt." Womit die jugendliche Ich-Erzählerin, die Djuna heißt, sicher recht hat. Aber natürlich erzählt Alle sagen: I love you nicht die Geschichte, wie Woody Allen Alan Alda Goldie Hawn ausspannen will, weil Woody Allen, der im Film Joe Berlin heißt, das mit dem Verknalltsein wahrscheinlich gar nicht weiß. Joe ist zwar die dominierende, aber doch nicht die einzige Figur, und die Liebesgeschichte, die er in Venedig (und später in Paris) mit einer attraktiven Amerikanerin namens Von (Julia Roberts) haben wird, ist nicht die einzige Liebesgeschichte in Alle sagen: I love you . Da ist nämlich unter anderem auch das Pärchen vom Anfang: Skylar ist Djunas Stiefschwester und verlobt mit Holden, der ihr einen sündhaft teuren Ring kauft (wobei er und das Verkäufer-Team "My Baby Just Cares For Me" singen und tanzen). Und weil Holden seine Liebste überraschen will, versteckt er den Ring im Dessert, gleich unter der Cocktailkirsche, was zu einer herrlichen Gesangseinlage im Krankenhaus führt: "Makin' Whoopee".
"Ich wollte nicht, daß meine Figuren innehielten in ihrer Geschichte und ins Singen verfielen, vielmehr sollten die Lieder einfach die Geschichte weitererzählen", sagt Woody Allen, und das ist ihm auch gelungen. Die Lieder halten nicht auf, sie treiben die Geschichte weiter oder setzen mindestens Akzente, verdeutlichen. Und: Beim Singen wird meistens auch getanzt, ein exakt ausgeklügeltes Gewimmel mit manchmal richtig vielen Leuten - und jeder Schritt, Sprung, Schlitterer sitzt. Und da wäre dann gar keine Geschichte nötig gewesen, die Show genügt sich selbst, und am liebsten möchte man den Vorführer bitten, einige Szenen unaufgefordert zwei- oder dreimal zu spielen.
So ist das, wenn Woody Allen ein Musical macht. Man merkt nicht, daß das, was wir auf der Leinwand sehen, das Ergebnis der harten Arbeit von ichweißnichtwieviel Leuten ist. Es sieht vielmehr so aus, als nähme uns ein junggebliebener Lieblingsonkel an die Hand und zeigte uns seine Lieblingsorte, Lieblingsjahreszeiten und Lieblingssongs.

Jens Steinbrenner