ALI Geniales Großmaul
Will Smith als Muhammad Ali Martin Luther King, Malcolm X und Muhammad Ali - das war das Dreigestirn der afroamerikaischen Emanzipationsbewegung in den wilden 60er Jahren. King und Malcolm X wurden zu politischen Galionsfiguren der gewaltfreien und militanten Proteste. Aber es war das medienwirksame Charisma des Boxchampions Muhammad Ali, das das neue schwarze Selbstbewusstsein weltweit populär machte. "Ich bin der Größte!" tönte Ali und wurde von den Reportern belächelt. Die Geschichte sollte ihm recht geben, im Rückblick gehört Ali, der als Cassius Clay seine Karriere begann, zu den schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Zehn Jahre, von 1964 bis '74, hat Michael Mann aus dem Leben des umstrittenen Schwergewichtboxers herausgeschnitten und die bewegte Dekade auf zweieinhalb atemberaubende Kinostunden kondensiert. Unterlegt mit dem Soul eines Sam Cooke-Konzertes reist der Film in einem langezogenen Intro durch die Kindheit von Cassius Clay, in der die Schwarzen noch auf den hinteren Reihen im Bus sitzen mussten und die Eltern eine blonde, blauäugige Jesus-Figur anbeteten. Der beginnende Protest der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre wird mit den ersten siegreichen Kämpfen des jungen Boxers gegengeschnitten. Schon in diesen ersten Minuten verbindet Mann mit seiner dynamischen Montage Politik, Sport und Musik zu einem vibrierenden Bildstrom, der ganz nah am Atem der Geschichte bleibt. 1964 besiegt Cassius Clay den WBA-Titelverteidiger Sonny Liston und verkündet wenig später seine Konvertierung zur "Nation of Islam". Aus dem Haudegen wird zumindest im Privaten ein strenger Muslim, was auch seiner ersten Ehe mit Sonji Roi (Jada Pinckett-Smith) ein frühzeitiges Ende bereitet. Ali ist eng befreundet mit Malcolm X und gerät immer wieder ins Visier von Geheimdiensten und Presseverleumdungen. Als er schließlich 1967 seine Einberufung nach Vietnam verweigert ("Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt"), wird Ali auf dem Höhepunkt seiner Boxerkarriere zu fünf Jahren Haft verurteilt. Man entzieht ihm den WM-Titel, und auch die "Nation of Islam" wendet sich von ihrem Schützling ab. Erst 1974 holt sich Ali den WM-Titel beim legendären "Rumble in the Jungle" in Zaire/Kinshasa von George Foreman zurück. Untrennbar ist Alis wechselhafte Sportlerkarriere mit den politischen Unruhen der 60er Jahre verbunden. Will Smith lässt sich mit Hingabe auf alle kontroversen Facetten seiner Figur ein. Ali das Großmaul, der seine Gegner vor dem Kampf wüst beschimpft. Ali der stille Zweifler, dem in Krisenzeiten nur wenige loyale Freunde bleiben. Ali der Charmeur, der mit sanftem Machismo durch sein Liebesleben strauchelt. Ali der provokante Medienprofi, der seine Gedichte in die laufenden Kameras hineinrappt, lange bevor der Rap erfunden war. Und natürlich Ali der begnadete Boxer, der sich sieben Runden lang von Foreman verdreschen lässt und ihn dann mit einer rechten Geraden ausknockt. Spike Lee hätte den Stoff wahrscheinlich zu einem afroamerikanischen Heiligenbildchen verklärt. Michael Mann hingegen stellt sich den Widersprüchlichkeiten der Pop-Ikone Ali und verbindet die Dynamik des Sportlerfilms kongenial mit den politischen Bewegungsprozessen der 60er Jahre ein Film, der in jeder rastlosen Minute Geschichte atmet.
Martin Schwickert
USA 2002 R: Michael Mann K: Emmanuel Lubezki D: Will Smith, Jamie Foxx, Jon Voight
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