AJAMI

Leben im Viertel

Über das Zusammenleben von Juden und Moslems

Dicht aneinander geschmiegt liegen die beiden Städte an der Mittelmeerküste: Tel Aviv, die moderne und säkularste Metropole Israels, und das kleinere, mehr als fünftausend Jahre alte Jaffa, das 1950 von der boomenden Nachbarstadt eingemeindet wurde und heute noch den höchsten Anteil an arabischen Bewohnern hat. Im Vorort Ajami sind die arabischen Israelis sogar in der Mehrheit. Juden, Moslems und Christen, Israelis, Palästinenser und Beduinen wohnen in diesem heruntergekommenen Viertel auf engstem Raum zusammen. Weit entfernt vom multikulturellen Idyll ist Ajami von Kriminalität, Drogenhandel, religiösen und ethnischen Konflikten geprägt.

Die Filmemacher Scandar Copti und Yaron Shani - ein arabischer Christ der eine, ein Jude der andere - sind hier aufgewachsen und zeichnen in ihrem beachtlichen Kinodebüt Ajami ein ebenso spannendes wie komplexes Porträt ihres Viertels. In fünf Kapiteln blicken sie immer wieder aus verschiedenen Perspektiven auf den kulturellen Mikrokosmos, spulen die Geschichte vor und zurück, um andere Facetten zu beleuchten und das Gesehene neu zu befragen.

Der Film beginnt mit Schüssen, die den Falschen treffen. Statt Omar, dessen Familie ins Visier eines kriminellen Beduinen-Clans geraten ist, wird der Sohn der Nachbarn getötet. Omars Chef, der angesehne, christliche Geschäftsmann Abu Elias, bietet seine Hilfe als Vermittler an. Innerhalb weniger Wochen muss Omar ein hohe Summe zahlen, um die Blutrache zu beenden.

Geld auftreiben muss auch der fünfzehnjährige Malek, der als illegal eingewanderter Palästinenser in Abu Elias Restaurant arbeitet, um die Operation seiner leukämiekranken Mutter zu finanzieren. Mit in der Küche arbeitet Binj, dessen Bruder verdächtigt wird einen jüdischen Nachbarn im Streit erstochen zu haben und auf der Flucht einen Packen Kokain bei Binj versteckt hat.

Ähnlich wie González Iñárritu in Amores Perros verflechten Copti und Shani ihre multiperspektivische Erzählung zu einer engmaschigen Geschichte, die immer neue Wahrheiten freilegt. Allerdings ist hier nicht das Schicksal die treibende, destruktive Kraft, sondern das gegenseitige Missverstehen, die Vorurteile und Grenzziehungen zwischen den Religionen. Der Film führt auch das Publikum in die Irre. Der ersten Wahrnehmung ist nicht zu trauen. Denn aus einem anderen Blickwinkel werden scheinbar klare Schuldzuweisungen wieder demontiert. Ajami zeigt deutlich wie die kollektiven Identitäten die Sicht auf die Wirklichkeit verzerren und die Interessen der Familie oder der ethnischen Gemeinschaft der individuellen Glücksfindung im Wege stehen. Wenn der Muslim Omar sich in die Tochter seines christlichen Chefs verliebt, dann tut der Vater alles, um diese Beziehung zu verhindern. Und auch Binjs arabische Freunde wenden sich von ihm ab, weil er mit seiner jüdischen Freundin nach Tel Aviv ziehen will.

In Israel hat Ajami die Wahrnehmungsmuster durchbrochen. Als erster vornehmlich arabisch-sprachiger Film war er überall im Land an den Kinokassen erfolgreich und geht nun sogar als aussichtsreicher Kandidat für Israel ins Oscar-Rennen.

Martin Schwickert

Israel 2009 R: Scandar Copti, Yaron Shani K: Boaz Yehonatan Yacov D: Shahir Kabaha, Ibrahim Frege, Youssef Sahwani