AGORA

Jesus' Rabauken

Ein wütender Film über das beginnende Christentum, das sich sofort mit Terror und Ignoranz in der Geschichte anmeldete


Das Interview zum Film

Ausgerechnet aus Spanien, wo die Kirche „hnlich aggressiv auftritt wie in Polen, kommt ein erfrischend ehrlicher Film über die Anfänge des Christentums. Alejandro Amenábar (Das Meer in mir; The Others; Tesis) beschreibt in Agora den Einbruch der Barbarei in die Weltgeschichte.

Im vierten Jahrhundert leben in Alexandria die Glaubensgemeinschaften friedlich nebeneinander. Die neoplatonische Philosophin und Astronomin Hypatia unterrichtet Juden, Christen und "Ungläubige". Auf dem Marktplatz macht eine schrille Sekte von sich reden, die ihren Gott über alle anderen gestellt wissen will. Denn mit Bischof Kyrill (heute als Heiliger und Kirchenvater verehrt) betritt ein selbstgerechter, aggressiver Ignorant die Szene, der seinen Gott schnell beleidigt sieht, die Juden aus Alexandria verjagt und die Frauen an Haus und Herd und zum Schweigen verdammen will (nach Kyrills Tod soll Kirchenvater Theodoret geschrieben haben: "Endlich ist dieser schlimme Mann gestorben. Sein Abschied erfreut die Überlebenden, aber er wird wohl die Toten betrübt haben.").

Amenábar inszeniert diese Gemengelage mit den Mitteln des Sandalenkinos. Fürs Auge werden üppige Marktszenen geboten, eine zarte Liebesgeschichte deutet sich an, die Philosophin Hypatia lehrt ruhig und gelassen in ihrer Schule. Die Barbarei der Christen interessiert sie nur am Rande. Sie befasst sich leidenschaftlich mit der Frage, ob das ptolemäische Weltbild richtig sei und ob der Kreis wirklich die perfekte Form sei, nach der sich am Himmel alles ordnet.

Schon da springt der Film manchmal aus seiner Geschichte heraus und zeigt Aufnahmen vom Erdball, aus dem All heraus gesehen. Das wirkt relativierend und irritierend. Einerseits: was interessiert sich Gott für Glaubensstreitigkeiten im römischen Reich?, andererseits betont es die moderne Sicht des Films: Wir wissen heute, dass die Erde sich um die Sonne dreht (selbst dieses harmlose Wissen musste mit Blut gegen die Gottesfanatiker erkauft werden).

Kyrill will die weltliche Macht an sich reißen. Er demütigt den römischen Statthalter öffentlich. Als der sich wehrt, nimmt Kyrills Truppe Rache an Hypatia, die öffentlich zuvor mit der zunehmenden Macht des Christentums den Untergang der antiken Toleranz betrauerte.

So direkt, wie Amenábar das inszeniert, kommt einem die Präsentation der Christen als Barbarenhaufen übertrieben vor. Tatsächlich hat der Film die Geschichte an vielen Stellen milde interpretiert und behandelt die Jesus-Pöbel eher freundlich. Trotzdem hat man schon lange nicht mehr einen so wütenden Film sehen dürfen, der die Christen-Barbaren als Vorläufer etwa muslimischer Fundamentalisten präsentiert. Von der historisch schwarzen Kluft von Kyrills Wüstenorden, der steinernen Intoleranz und Humorlosigkeit seiner Truppe bis hin zur Frauenfeindlichkeit und der Verachtung allen Wissens (der Brand der Bibliothek von Alexandria war nur eines der Kultur-Pogrome, mit denen die junge Religion der Jesus-Freaks auf sich aufmerksam machte) - alles sieht aus wie heute. Die antiintellektuellen Rabauken des Kirchenvaters wirken schrecklich modern.

Rachel Weisz als zarte und doch selbstbewusste Hypatia steht an der Spitze eines Ensembles, das diese Geschichte zu jeder Sekunde ernst nimmt. Die zu befürchtende Sentimentalität des Sandalenfilms bleibt aus, selbst in den leisen Szenen des Films. Am Ende schwingt sich die Kamera immer weiter in die Höhe, als wolle sie diesen Ort der beginnenden Barbarei möglichst schnell verlassen.

Thomas Friedrich

Spanien 2009 R: Alejandro Amenábar B: Alejandro Amenábar, Mateo Gil K: Xavi Giménez D: Rachel Weisz, Michael Londsdale, Max Minghella, Oscar Isaac, Rupert Evans, Sami Samir