AGATA UND DER STURM

Frau unter Strom
Nach Brot und Tulpen präsentiert sich Licia Maglietta als Powerfrau

Wenn Agata die Szenerie betritt, knistert es. Nicht nur im übertragenen, sondern auch im direkten, elektrostatischen Sinn. Glühbirnen, und Ampelanlagen flackern erschöpft ihrem Ende entgegen, Computer stürzen ab, Radios und Toaster versagen funkenschlagend den Dienst.
Agata wird von Licia Maglietta gespielt. Erst beim zweiten Hinsehen erkennt man das Gesicht wieder: in Silvio Soldinis Brot und Tulpen war Maglietta die wunderbar schusselige Hausfrau, die im winterlichen Venedig nach einem neuen Leben suchte. Auf den ersten Blick haben die linkische Rosalba und die agile Agata wenig gemeinsam. Trotzdem merkt man, dass die beiden Frauenfiguren in ein und dem selben Kopf entstanden sind.
Die lebenslustige Buchhändlerin Agata ist eine Art Turbo-Reinkarnation ihrer Vorgängerin, eine Weiterentwicklung der Frau, die Rosalba am Ende von Brot und Tulpen war. Agata liebt ihren Beruf, die Abende mit einem Buch im Bett und gelegentlich auch den deutlich jüngeren Nico (Claudio Santamaria), der ihr willenlos verfallen ist. Was Rosalba zu wenig an Selbstbewusstsein hatte, hat Agata zu viel an Lebensenergie. Der chinesische Heilpraktiker empfiehlt Entspannungsübungen, um weitere elektromagnetische Zwischenfälle zu vermeiden.
Aus Agatas Bruder Gustavo (Emilio Solfrizzi) hingegen ist aller Lebenselan entwichen, als er erfahren hat, dass die leibliche Mutter ihn als Kleinkind für einen Marktwert von 350.000 Lire an eine reichen Familie nach Genua verkauft hat. Kopfüber stürzt der erfolgreiche Architekt in die Midlife-Crisis und quartiert sich bei seinem neu gewonnenen Bruder Romeo (Giuseppe Battiston) ein ein Handlungsreisender, der die Po-Ebene mit geschacklosen Textilien versorgt. Irgendwann taucht auch Agata auf und noch später eine dänische Bürgermeisterin (Ann Eleonora Jörgensen), die um Gustavos Herz wirbt. Die neu entstandene Patchwork-Familie beginnt gemeinsame Pläne zu schmieden. Romeo träumt von einem Anglerparadies, Agata von einem Buchladen nebenan und Gustavo von einer neuen Architektur des eigenen Lebens.
Obwohl Silvio Soldini bis auf Bruno Ganz fast das komplette Ensemble von Brot und Tulpen versammelt hat, entwickelt sich der Film nicht zum angestrengten Anknüpfungswerk. Zwar wirbt auch dieser Film für die Rückkehr zum Lebensgefühl des "La vita é bella", das zunehmend verloren geht. Aber er strickt daraus keine geradlinige Entwicklungsgeschichte, sondern eher ein angenehm chaotisches Knäuel von Beziehungen und Ideen, das hin und her geweht wird.

Martin Schwickert
Agata e la tempesta I 2004 R:Silvio Soldini B: Doriana Leondeff, Francesco Piccolo, Silvio Soldini K: Arnaldo Catinari D: Licia Maglietta, Giuseppe Battiston, Emilio Solfrizzi