28 TAGE


Reif für die Reha

Sandra Bullock soll trocken werden

Nachdem Gwen (Sandra Bullock) sturzbetrunken die Hochzeitstorte ihrer Schwester abgeräumt, die Brautlimousine geklaut und damit Vorgarten und Veranda eines Einfamilienhauses demoliert hat, ist das New Yorker Partygirl reif für die Reha. Für 28 Tage wird Gwen in eine Entzugsklinik eingewiesen und muss sich dort einem rigiden Regime unterwerfen. Das Handy bleibt unter Verschluss, statt dessen Gesprächskreise, Singspiele und Putzdienste. In der illustren Schar der Mitrehabilitanden ist die ganze Drogenpalette vertreten: Alkohol, Heroin, Koks, Tabletten, sogar ein Sexaholiker ist dabei.
Neuankömmlinge werden von der Stammbelegschaft fachmännisch eingeordnet. Anfangs sträubt sich die coole Gwen gegen den lächerlichen Therapiemief, aber schon bald setzen die ersten Entzugserscheinungen ein. Nachdem sie im Delirium aus dem Fenster gesprungen ist, beginnt sie sich langsam mit dem Reha-System zu arrangieren und ihr Leben mühsam neu zu ordnen.
Man kann sich Betty Thomas' 28 Tage als Gegengift zu Milos Formans Klapsen-Klassiker Einer flog übers Kuckucksnest vorstellen. Damals, in den 70ern, waren die Fronten klar: Der irre Jack Nicholson galt als individualistischer Rebell und die Anstalt als repressive Institution von Staat und Gesellschaft. Sandra Bullocks Gwen hingegen ist ein Produkt der Partygeneration der 90er, die sich im inszenierten Individualismus der Großstadtszene selbst verloren hat. Das strenge Ordnungssystem der Klinik ist hier kein Gefängnis, sondern ein Koordinatensystem zur Selbstfindung. Betty Thomas (Private Parts) gelingt es, ihre etwas gesellschaftskonforme Botschaft als lockere Tragikomödie zu inszenieren. Auf der einen Seite werden die üblichen Rührseeligkeitsstandards bedient, auf der anderen Höhen und Tiefen des Thearpiealltags recht treffsicher karikiert: Vertrauensübungen an der Kletterwand, Sensibilitätstraining am lebenden Pferd, emotionale Eklats im Gruppengespräch, Singkreise mit Händchenhalten, Workshops zu zentralen Fragen des Drogenentzugs wie "Warum Sie Ihre Ausnüchterung nicht begießen sollten".
Therapie, das zeigt der Film deutlich, erfordert den Mut zur Lächerlichkeit. Sandra Bullock wächst hier endlich einmal über ihr Image als zuckersüße Grübchenlächlerin hinaus. Wenn sie im Schlampenlook über den Klinikflur schleicht und ihre Süßigkeitentüte mutlos hinter sich herzieht, trägt sie das ganze Elend des Alkoholentzuges auf ihren zusammengesunkenen Schultern. In Nebenrollen glänzen Dominic West als charmant verlotterter Liebhaber und ausgerechnet Steve Buscemi (Fargo) in der Rolle des prinzipientreuen Anstaltsleiters.

Martin Schwickert