»DANCE OF THE WIND«

Die eine singt

Musik und Mystik aus Indien

Der Titel verheißt Süßliches - und dem interessierten mitteleuropäischen Kinogänger wird in der Tat die erwartete süßliche Portion fernöstlicher Lebensweisheit serviert, die ihn stets in ehrfürchtige Rührung versetzt. Das Thema, ganz spirituell: die Suche nach eigener Identität. Die junge Inderin Pallavi wird von ihrer Mutter in der 5000jährigen, mündlich von Generation zu Generation weitergegebenen Kunst des Raga-Gesangs unterwiesen und gibt erfolgreich Konzerte. Nach dem Tod der Mutter verliert Pallavi bei einem Auftritt ihre Stimme. Während sie angestrengt versucht, sie wiederzufinden, begegnet ihr ein kleines Mädchen, das im Gegensatz zu Pallavi den Gesang von Natur aus spielerisch beherrscht. Diese führt sie zu einem alten Guru, der einst auch Pallavis Mutter unterrichtete, sie jedoch verstieß, als sie für die "reine" Musik nicht alles Weltliche aufgeben wollte. Der Tochter aber gibt er Freiheit, indem er ihr die entscheidende Botschaft vermittelt: "Hör auf zu suchen, damit die Musik dich finden kann." Pallavi realisiert, daß sie zuvor nur die Stimme ihrer Mutter imitiert hat - nun, am Ende des Films, erklingt ihre eigene.
Der erste Langspielfilm des Inders Rajan Khosa zeigt einen Ablösungsprozeß zwischen Schüler und Meister; darüber hinaus erzählt Khosa von der Zerrissenheit seines Landes, das kürzlich die 50jährige Unabhängigkeit feierte, zwischen uralten Traditionen und zunehmendem Einfluß westlichen Lebensstils. Schauplatz des Geschehens ist das moderne Neu Delhi - ruhige, meditative Bilder und Hörbilder werden gelegentlich durch hektische Schauplätze der "Neuen Welt" kontrastiert, z.B. eine Disco, in der sich eine lebenslustige Freundin Pallavis aufhält. Es braucht zunächst ein wenig Geduld, auf das Erzähltempo des "stillen Films" einzusteigen; danach mag man sich von den ausgezeichnet fotographierten Bildern des indischen Star-Kameramanns Piyush Shah und dem schwebenden Soundteppich der Raga-Gesänge betören lassen.

Natalie Lettenewitsch