Boiling Point

Unterdruck

Wunder der Welt: will man eine Sache zum Sieden bringen, muß man ihr von außen Energie zuführen - oder den Druck wegnehmen, der die inneren Kräfte am Auseinanderstreben hindert.

James B. Harris weiß das sicher, aber hört er deshalb schon nach 10 Minuten auf, seinen erst fünften Film in 28 Jahren zu inszenieren?

Nachtdunkel liegt die Stadt da, blue bläst eine Big Band alten Jazz unter neuen Neon-Fassaden, knapp auf der Kippe zum kalten Stahlblau stehen die Buchstaben der Titelei: Wesley Snipes, Dennis Hopper ... wir sind durchaus angenehm gespannt.

Die Kamera folgt Hopper durch die Straßen von den verzweifelt eleganten Weißwand-Slippern hoch bis zu einem Nachtcafé. Ein Schwenk: Snipes steht gerade auf und geht mit einer Imbißtüte. Unaufmerksam vorbei an einem jungen Mann, der sich zu Hopper setzt. Und gleich wieder aufsteht, weil der alte Fuchs, schon schütter aber immer noch rothaarig, ihm aufträgt einen "Out of Order"-Zettel an die nahe Telefonzelle zu kleben. "Das klingelt gleich" sagt Red, und wir grinsen uns gegenseitig an. Ein billiger Trick für einen großen Coup. Schnitt.

Snipes gibt einem Kollegen vom Imbiß ab. Beide hören über ein Funkgerät mit, wie ihr dritter Mann im Motelzimmer gegenüber den Anruf macht, der einen Falschgeldverkäufer in die Falle locken soll. Die Polizisten grinsen. Aber wir hören damit auf. Hier muß etwas schief gehen. Es knallt im Off, der Köder ist tot, die Jäger haben nichts gesehen, aber wir eigentlich auch nicht. Was immerhin ein Versuch ist, uns plausibel zu machen, daß Snipes (als Detektiv Mercer) und Red sich später immer wieder über den Weg laufen, ohne sich zu erkennen.

Dafür erkennen wir immer mehr Analogien zwischen ihnen. Red war lange im Knast, hat Schulden bei der Mafia, versucht mit Trick-Deals in einer Woche an das Geld zu kommen - und versucht ein letztes Mal sich mit seiner Frau zu versöhnen. Mercer will Rache, soll wegen Unvorschriftsmäßigkeit versetzt werden, hat nur noch eine Woche für den Fall - und versucht ein letztes Mal sich mit seiner Frau zu versöhnen. Auch Reds Kollege, der für ihn die Dreck-Arbeit machen muß, hat ein Wiederanbahnungsgespräch mit seiner Freundin. Alle drei Dialoge werden so vergleichend ineinandergeschnitten, und alle drei Männer kämpfen auf so unterschiedliche Weise um ihre privaten und beruflichen Chancen, daß die Genregeschichte sich für einen Augenblick zum Psycho-Drama konzentriert.

Aber dann läuft alles auseinander. Zum Teil, weil trotz knapper Zeit einfach kein Druck im Plot entsteht - eine Gas-Explosion, die eine Nebenfigur hinrafft, platzt sogar störend in den sonst recht ruhigen Tonfall der Erzählung. Zum Teil auch, weil Snipes' Spiel nur interessant ist, wenn er ganovenartig trickst - das für Wärmekraftmaschinen notwendige Temperaturgefälle verschwindet, wenn er aufrichtig wird, aber temperamentlos. Und drittens, weil Hopper das ursprünglich angelegte Männer-Dreieck mit melancholischen Manierismen zum Beiseite-Solo zerdrückt - die Story vom alternden Hallodri ohne Skrupel aber mit einem Hang zum Ballroom Dancing erhebt den Krimi, bis die Luft dünn wird.

Man kann den Siedepunkt durch eine Unterdruckumgebung senken, sicher. Das Wasser wirft dann auch ganz interessante Blasen. Nur schmeckt der Kaffee, den man daraus kocht etwas fade. Das weiß James B. Harris möglicherweise auch. Jedenfalls läßt er Red am Schluß, nach einem seltsam retardierten Showdown im Tanzpalast, nach einem letzten Trick, an dessen Gelingen er endgültig scheitert, eher einsichtig als resigniert sagen "Man kann nicht immer gewinnen". Und traurig bläst die Big Band wieder ihren "Dream" darüber. Schade, uns ist das Frösteln vergangen.

WING