Bittersüße Schokolade Heißes Wasser mit Geschmack Erst wurde das erste Buch einer unbekannten, mexikanischen Autorin überraschend zum Bestseller - in Deutschland sogar ohne besondere Promotion - dann wurde der Film danach, von ihrem regional berühmten Mann, weltweit mit Preisen überschüttet - und jetzt erscheint Laura Esquivels Roman Schäumend wie heiße Schokolade in Deutschland noch einmal neu unter dem Titel des nach ihm gedrehten Films. Der wiederum ganz anders schmeckt, als man es sich bei uns unter kulinarischem Kino vorstellen kann. Alfonso Araus Bittersüße Schokolade nämlich hat nichts delikates, nichts schlemmerisches, keinen abgespreizten kleinen Finger, und hält sich ebenso fern vom zinntellerkrachenden Rustikalen. Vielleicht, weil man bei Esquivels/Araus zu Hause in Mexiko eh anders Filme macht - sicher aber, weil man da anders ißt. Eine Besonderheit der mexikanischen Küche nämlich ist ihr Hang, das Fette und das Süße möglichst nahe beieinander zu haben, das Scharfe und das Fladenbrot auf einen Biß, das Rohe und das Gekochte in einer Sauce, der Mole, die man aus vielen Sorten Chili und Schokolade macht. Kein Wunder also, daß der Film uns etwas schief auf der Zunge liegt. Er ist kein Film für Köche. Denn die Rezepte der Roman-Augabe fehlen auf der Leinwand. Kein Film auch für Stilisten. Denn die strenge Monatseinteilung des Buches, das ein ganzes Leben in zwölf Kapiteln erzählt, fehlt. Erst recht ist er kein Film für Sprachversessene. Denn die Synchronisation ist oft noch irreführender als der Titel. In Mexiko gießt man Kakao mit Wasser auf statt mit Milch, weshalb die Geschichte in Wirklichkeit heißt: "Wie das Wasser für den Kakao", sprudelnd also, siedend, überkochend. Was auch eine volksmündliche Umschreibung für die sexuelle Erregung ist und überhaupt keinen bittersüßen und überzivilisierten Unterton hat. Im Mexiko vor der Revolution geht es noch so unverfeinert zu, ein wenig magisch auch, und die Liebe geht direkt durch den Magen. Gegen das Traurigsein beim Zwiebelschneiden etwa hilft ein Stück Zwiebel auf dem Scheitel, gegen Mundgeruch sind Minzeblätter gut, und gegen die falsche Frau greift die richtige zum bösen Bläh-Kraut. Oh, der Film hat ein paar Verdauungsbeschwerden, den kunstvoll überladenen Roman-Tisch in 90 Minuten für die Augen leer zu essen. Aber im Prinzip geht das so: Tita wird in der Küche geboren, als jüngste Tochter von Elena. Deren Mann stirbt am Herzschlag, als er hört, daß die mittlere Tochter nicht von ihm ist. Und Tita wird schon sehr früh unglücklich, weil sie nie heiraten darf. Die Tradition verlangt vom Nesthäkchen die Pflege der Mutter. Und so verliebt sich Pedro in Tita, heiratet aber die älteste Schwester Rosaura. Schicklichkeit und Schicksal schaukeln einander auf, Tita wird eine gewiefte jungfräuliche Köchin, und als sie einmal in den Kuchen weint, werden alle Gäste von einer tiefen Traurigkeit erfaßt. Und als sie in die Tunke blutet, wallt in allen Speisenden die Leidenschaft. So vergehen die Jahre, die Revolution zieht durchs Land, die Halbschwester folgt ihrer Lust und den Horden Pancho Villas, Kinder werden geboren und sterben, Tita wird irre und wieder gesund, die tyrannische Mutter stirbt auch, ein netter Mann bemüht sich um Tita, aber die teilt weiter mit Pedro den Tisch wann immer sie kann. Mehr kann sie lange nicht. Die Traditionen sind dagegen. Als sie es endlich kann, weil Rosaura, Pedros Ersatz-Frau, am kranken Darm verscheidet, ist der Film schnell aus. Erkaltendem Kakao zuzusehen wäre auch nicht spannend. Der lange Weg der Erhitzung aber ist interessant. Mal liegt ein Hauch von echter Welt darin (die Revolution früher, der Kühlschrank später, in der Rahmenerzählung Titas Urenkeltochter), mal stehen landesüblich traumhaft tote Mütter zeternd am Fenster (Magischer Realismus), mal brennen ganze Häuser ab, weil sich in ihnen zweie zu sehr lieben. Und fast alle Szenen bleiben Appetit-Häppchen, Anspielungen der vielen Themen einer richtigen Mahlzeit. Sexuelles Erwachen? Sicher. Erste Schritte zur Emanzipation? Im Ansatz. Der Umsturz in Seele und Staat? Soll wohl. Der enge Zusammenhang zwischen Glück und Glucose? Unübersehbar. Nach diesem Film hat man Hunger, auf Wachteln, auf Liebe, auf Mexiko, auf das Buch, auf einander - meinetwegen auch auf bittersüße Schokolade. Aus je einem Viertel Soconusco-, Maracaibo-, Caracas-Kakao und Zucker gemischt und mit sprudelndem Wasser übergossen. -w-
|