BIS ZUM HORIZONT UND WEITER

Alles für Nina

Ein Ossi entführt eine Richterin und zeigt ihr das Land

Henning und Nina haben nach der Wende verloren. Arbeit weg, Sozialgefüge von dannen, und das Selbstwertgefühl schlägt auch keine Purezlbäume. Eine Freiheit ist ihnen geschenkt worden, die sie sich nicht leisten können. Selbst die rinnt Nina durch die Finger: Sie wird von einer Richterin zu drei Jahren Haft verurteilt.
Henning dreht durch. Er entführt die Richterin, um Nina freizupressen. Raus aus Berlin, rein in die schöne Landluft geht es für das zwanghaft aufeinander angewiesene Paar. Einsamer werden die Straßen, dreckiger und lebloser die Dörfer, bis das Duo in einem verlassenen Tagebau landet. Erdhalden so weit das Auge reicht. Ostdeutschland ist an keiner Stelle so unidentifizierbar und archetypisch wie hier. Eine Mondlandschaft im Nirgendwo, verlassen von allen guten Geistern, entmenscht, entnaturalisiert. Die Richterin, hervorragend gespielt von Corinna Harfouch, schaut ungläubig in die Ödnis. Sie ist angerührt und angeekelt. Henning hat hier früher gearbeitet, seine Kraft und seine Gesundheit gelassen. Am Rande der Industrieidylle liegt der Bauernhof von Hennings Mutter. Dort kreuzen sich alle Stränge endgültig, der Umschwung von Richtendem und Gericheteten vollzieht sich. Harfouch trampelt mit Gummistiefeln und Kittel durch den Sand, Henning und Nina steigen zu Märtyrern des Systems auf. Peter Kahane drehte Bis zum Horizont und weiter nach einem Hörspiel von Oliver Bukowski. Es menschelt viel, aber verzeihlich. Anrührend versuchen die Macher eine etwas unglaubwürdige Geschichte umzusetzen. Der Film erzählt ein kleines Märchen vom reizüberfluteten Ossi, das sich in der fremden Welt nicht zurechtfindet. Wolfgang Stumph spielt diesen Henning Stahnke, und er spielt ihn gut. Resignation und Humor liegen in der Figur dicht beieinander, Aufbegehren und Fatalismus.
Die sympathischste Schauspielerin des Filmes ist jedoch Gudrun Okras. Als bauernschlaue Mutter stiehlt sie Harfouch und Nina Petri (Nina) die Schau. Kahane, der wie die meisten der Darsteller zu DDR-Zeiten erste Lorbeeren sammelte, setzt auf das Talent seiner Darsteller. Ist die Geschichte manchmal holprig, biegen die Schauspieler die Szene zurecht. Bis zum Horizont und weiter ist eine gelungene Mischung aus Roadmovie, Sozialkitsch und Das Leben ist eine Baustelle . Ohne Befindlichkeitsschwafel berauscht sich der Film in schönen Einstellungen (Kamera: Gero Steffen) sozialer Knackpunkte. Eine Seltenheit im deutschen Kino.

Ulf Lippitz