Attenberg
Griechische Krise
Küssen und Kunst mit Untertiteln
Athina Rachel Tsangari schlägt Thomas Alva Edison. Der Amerikaner brachte 1876 skandalös den ersten Filmkuss auf die Leinwand, die griechische Regisseurin setzte 2010 neue Maßstäbe, als sich in den ersten Bildern die scheue 23-jährige Marina von ihrer erfahrenen Freundin Bella ebenso ausführlich wie angewidert beibringen lässt, wo die Zunge hinkommen kann und dass Spucke dazu gehört. Ariane Labed bekam für ihr Leinwanddebüt in Venedig den Darstellerpreis und der Kunstfilm kriegte Aufmerksamkeit weit über die Arthouse-Szene hinaus.
Dabei ist er nicht nur wegen der Originalsprache und der Handlungsarmut spröde. Marina lernt das Leben als Verhaltensimitation, als betrachte sie Tierdokumentationen von Sir David Attenborough, den sie "Attenberg" ausspricht). Trotzdem kann Marina Auto fahren und Kicker spielen. Oder sich mit ihrem krebskranken Vater über das Sterben unterhalten. Spätestens, wenn Marina und Bella völlig losgelöst von den Handlungsresten immer wieder Szenen wie aus dem Tanztheater und Silly Walks aufführen, endet der Existentialismus im Skurrilen. Beziehungsweise umgekehrt, denn nicht nur im Setting einer weitgehend arbeitslosen griechischen Industriestadt ist Attenberg deutlich ein Film zur aktuellen Lage Griechenlands. Schließlich wünscht sich Marinas Vater eine Feuerbestattung, und für die muss sein Leichnam außer Landes geschafft werden.
-w-
G 2010, Griechisch mit deutschen Untertiteln, R + B: Athina Rachel Tsangari K: Thimios Bakatakis D: Ariane Labed, Giorgos Lanthimos, Vangelis Mourikis, Evangelia Randou. E: Interview.
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