DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU
Rote Ernte Die Redaktion schreitet die Krimi-Strecke ab "Ich bin manchmal ein bißchen langsam, aber wenn man mir oft genug eins über die Rübe zieht, dann komme ich drauf." (Mickey Spillane: The Twisted Thing) und hier: die aktuelle Ausgabe Der Mann wird langsam lästig: Siggi Baumeister, der gewesene Stern-Reporter, der unter dem Pseudonym Jacques Berndorf Krimis schreibt, obwohl er eigentlich Michael Preute heißt. Und immerzu hochbrisante Dönekes aus seinem Privatleben andeutungsweise in die Handlungen einbaut. Das nächste Mal ist es hoffentlich kein toter Rezensent, diesmal, im Eifel-Sturm, ist es sein eigenes abgebranntes Haus. Das hat zwar nichts mit dem Fall zu tun (irgendwer erschiesst einen CDU-Umweltpolitiker), aber Preute hatte eben wirklich gerade Asche am Hacken. Darunter litt auch das Buch, in dem die Mörderin nun am Ende seitenweise das wie warum und womit erklären muss. Stümperei. Da hätten wir doch lieber eine Bestimmungs-Tabelle der immer wuchernderen Eifelflora - oder eine Entschlüsselungs-Liste, welche Roman-Figur nach welcher Echt-Person gebaut ist; manche heissen im Buch nämlich sogar genauso wie im wirklichen Leben. Richtig schlechte Krimi-Autoren wenden sich immer wieder dem Thema "Snuff" zu, also Filmen, in denen die reale Ermordung eines Menschen gezeigt wird. Pierre Billon ist ein ausgesprochen schlechter Schriftsteller, und deshalb gibt's in seinem Roman Ein Gähnen des Teufels gleich haufenweise Snuffs, inszeniert von einer "geheimen Bruderschaft", die mit Mörderfilmen ihren Jahresetat aufrundet. Der ständige Schrecken soll über den schwachen Stil hinwegtäuschen: "Er spürte den Druck eines zarten Körpers, der von einem kaum wahrnehmbaren Zittern erfaßt wurde" - solche Typen schreiben immer so! Der Mann ist weg. Verschwunden. Und er war ein Dichter, ein ungedruckter. Jetzt soll sein Jugendfreund seiner Frau bei der Herausgabe des Lebenswerks helfen. Das Erwartbare geschieht (sie kriegen sich lieb), das Unerwartete auch (der verschwundene Fanshawe könnte, nach Jahren, angerufen haben) und das Unerklärliche erst recht (übernimmt der Ermittler das Leben seines Themas?). Mit übereinanderlaufenden Stimmen, Musik, Hall und allerlei sonstigen Effekten macht die Hörspielversion von Paul Austers Hinter verschlossenen Türen einen kleinen Philosophie-Kurs aus dem Krimi-Gerüst. Außerdem gibt es als Zugabe noch Paul Auster persönlich mit einer kurzen Szene hintendran. "Hello? You've got the wrong number." Gar nicht wahr. Der Mann ist ganz unten, alt, schwarz, und kaputt von fast 30 Jahren im Knast - für Mord und Vergewaltigung. Und dann beschließt sein Autor, Walter Mosley, 50, schwarz, und berühmt als Bill Clintons Lieblings-Romancier für den liberalen Flügel, dass Socrates Fortlow ein anständiger Mensch werden will. Straßenbengeln beibringen, dass man keine Hühner klaut, krebskranken Strassenfreunden die Abgangs-Pillen besorgen, aufstrebenden Kleingaunern übelnehmen, dass sie ihren schwarzen Bürder weiter unten den Ruf ruinieren ... so hochmoralische Sachen machen eben. Und darüber reden. Das wirkt manchmal etwas gestelzt zwischem all dem Niggah-Slang (flüssig und respektvoll von Pieke Biermann eingedeutscht) und den schwarzen Alltags-Sorgen im L.A.-Stadtteil Watts. Das wirkt auch zuweilen, wie ein Krimi ohne Fall, der lieber ein Bildungsroman werden möchte ... aber es wirkt immerhin - der Beginn einer neuen, interessanten Reihe. Der Mann ist ein Arsch, Ex-Junkie, Saufbold, Boy George-Hasser - aber er behandelt seine Katze besser als sein Auto. Und er fuhr gleich mit dem ersten Auftritt 1998 seinem Autor Jörg Juretzka den Deutschen Krimipreis ein. Ungewöhnlich für ein Debüt. Jetzt ist Kristof Kryzinski wieder da. Mit dickem Kopf - und gleich neben einer Leiche. Die er eigentlich für deren reiche Frau finden sollte, bevor sie's wurde. Außerdem treten auf: diverse Spielhöllen, Segeljachten voller Koks-Ersatz, ganz viel Location in Essen und um Mülheim herum, und noch mehr schmutzige Wäsche, metaphorisch und in echt. Juretzka liebt das Atmosphärische, das heisse Fett, das verschüttete Bier, das geschwollene Auge. Und er kokettiert mit strengen Formen. Sense etwa rollt den Fall in scheibchenweisen Rückblenden auf, während der Detektiv unter Mordverdacht verhört wird. Und dann doch in einer Kette endloser Niederlagen so gerade noch die Bösen über die Ruhr kriegt. Sollte jeder im Handschuhfach haben, der seine Autos auf dem Schrottplatz kauft. Das hatten wir noch nicht: einen Eskimo-Ermittler im hohen und kalten Alaska. Weißer Himmel Schwarzes Eis erzählt von der Arbeit des Staatspolizisten Nathan Active unter - nein, nicht "Inuit", wie wir lernen, sondern: - Inupiat, davon, dass ein Tag mit minus 18 Grad ganz schön warm ist und Alaska so ziemlich der Arsch der Welt ist. Weshalb alle dankbar sind, dass eine große Kupfermine für Lohn und Brot sorgt. Und für Ärger, aber in einem Krimi ist das zu erwarten. Mit viel Lakonie, etwas kitschigen Liebesszenen und wohltuend wenig Geschwafel hat der Journalist Stan Jones sich das ausgedacht und vor allem einen sehr guten Plot entworfen, in dem Landschaft, Typen, Tagespolitik und Vergangenheit nahtlos ineinandergreifen. Den Schweden verdanken wir den sozialdemokratischen Thriller, eine prinzipiell gesellschaftskritische Literaturform, in der das Böse immer besiegt und die Welt dadurch besser wird. Protagonist ist stets ein biografisch und modisch leicht verknitterter Ermittler, der am Sinn seines Tuns permanent und zunehmend zweifelt. Die Hunde von Riga ist all dies, leidlich spannend zu lesen, gut ausgedacht, aber wenn man diese Art von Thriller kennt, weiß man ab Seite 30 wie's ausgeht. Trotzdem: Henning Mankell ist ein solider, den Kitsch meidender Autor, der sich redlich Mühe gibt, aus der jüngeren Geschichte Lettlands einen Krimi zu bauen, auch wenn er augenscheinlich fast nichts über das Land weiß. Der Rotbuch Verlag macht sich immer noch durch die Neuausgabe und -übersetzung von Mickey Spillane um die Krimikultur verdient. Nicht, weil Spillane so ein großartiger Schreiber wäre, sondern weil man ihn überhaupt erstmal kennenlernen kann, da seine Romane drastisch gekürzt, verstümmelt und umgeschrieben auf Deutsch erschienen. Verkorkst (The Twisted Thing) erschien zuletzt, eine aufregend vermurkste Geschichte, wie sie nur Spillane aufschreiben konnte: Linear, primitiv, klischeebefrachtet und voller Wutausbrüche des Helden. Wie so mancher Mike Hammer-Roman beginnt auch dieser damit, dass jemandem das Gesicht zerschlagen wird, ein immer wiederkehrendes Motiv Spillanes, der seinem Helden die Fähigkeit mit auf den Weg gab, Lesben an ihren Körperbewegungen (!) zu erkennen. Ach ja, Spillane hat wirklich viel reaktionären Scheiß geschrieben (mit das krasseste ist "One lonely night", als Regen in der Nacht 1998 neuübersetzt bei Rotbuch erschienen. Darin entlarvt Hammer eine kommunistische Verschwörung und muß eine süße Kommunistin mit dem Ledergürtel peitschen, was ihm aber danach sofort schrecklich leidtut), seine Trash-Krimis stehen für die 50er und 60er Jahre, als J. Edgar Hoover ein Held und lesbische Frauen fast so schlimm wie Kommunismus waren. Diese dumme Machokultur, von keinerlei Selbstzweifeln angefressen, findet man sonst kaum so in Reinkultur. Und weil das alles vorbei ist, wirkt es recht amüsant. Abgesehen davon, dass auch wegen Spillanes Paranoia manche Passagen glasklare Gossenpoesie enthalten, die immer wieder anrührend wirkt. Ed McBain schreibt immer noch über sein 87. Polizeirevier. Das Personal ist das gleiche, die Fälle sind zeitlos, die Erzählweise ist immer die gleiche. Die deprimierende Kontinuität dieser Welt ist nur auszuhalten, weil sie in sehr gut gebaute plots verpackt wird. Der schmucklose, polizeberichtartige Stil McBains paßt hervorragend zu seinen wirren Fällen. In Long Dark Night (im Original viel schöner: Nocturne) geht es um eine 19jährige tote Nutte, einen abgebrochenen Hahnenkampf, eine alte Konzertpianistin und um ein paar sehr unappetitliche Morde. In manchen Romanen werden Morde von Amateuren aufgeklärt! sagt einer der Cops sarkastisch. In McBains Romanen ist klar, dass so etwas solide, nervenaufreibende Profi-Arbeit ist. Die Masche der Italienerin Dacia Maraini ist offensichtlich: Angeblich "auf Polizeiberichten beruhend" sind ihre Kriminalfälle, in denen Unschuldige und Wehrlose - vorzugsweise Kinder - mißbraucht, gequält und ermordet werden. Und die Kommissarin Adele Sofia, von der wir nicht mehr wissen, als dass sie gerne Veilchenpastillen lutscht, klärt diese Verbrechen durch Inutition, Ruhe und Vorurteilsfreiheit jedesmal auf. Kinder der Dunkelheit enthält 12 solcher Geschichten, deren sachlicher Stil des Eindruck des Authentischen unterstreichen sollen. Aber wo etwa Leonardo Sciascia, eines der Vorbilder der Maraini, durch seine Geschichten etwas mitzuteilen hatte über die Welt und die Menschen, die darin leben, transportieren diese Begebenheiten hauptsächlich Mitleid und guten Willen. Was ja nichts Falsches ist, aber als literarisches Konzept ein wenig öde. -aco/wing/vl-
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Paul Auster: Hinter verschlossenen Türen WDR/hr-Hörspielbearbeitung. Hörverlag, München 2000 (AudioBooks 816), 1 MC 95 Min., 25.90 DM Jacques Berndorf: Eifel-Sturm Grafit, Dortmund 1999, 284 S. 17.80 DM Pierre Billon: Ein Gähnen des Teufels Ehrenwirt, München 2000, 463 S., 39.90 DM Stan Jones: Weißer Himmel Schwarzes Eis Unionsverlag UT metro Nr. 167, Unionsverlag, Zürich 2000, 249 S., 16.90 DM Jörg Juretzka: Sense Rotbuch Nr. 1109, Hamburg 2000, 240 S., 18.90 DM Henning Mankell: Die Hunde von Riga dtv Nr. 20294, Münchnen 2000, 351 S., 18,50 DM) Dacia Maraini: Kinder der Dunkelheit Piper, München 2000, 252 S., 38,- DM Ed McBain: Long Dark Night Europaverlag, München/Wien 2000, 352 S., 32,50 DM Walter Mosley: Socrates in Watts Übersetzt von Pieke Biermann. Unionsverlag UT metro 166, Zürich 2000, 254 S., 16.90 DM Mickey Spillane: Verkorkst Rotbuch 1111, Hamburg 2000, 241 S., 19,90 DM Mickey Spillane: Regen in der Nacht: Rotbuch 1102, Hamburg 1998, 275 S., 19,90 DM |