SCHWARZ & WEISS

Papas Afrika

Sami Tchak lästert über weinerliche Schwarze

An diesem schwarzen Kerl dürften alle Gutmenschen verzweifeln: Der Ich-Erzähler in Sami Tchaks Roman Scheiß Leben kann sich zum Beispiel über weißen Rassismus nicht besonders aufregen. In Afrika, da wo sein Vater herkommt, sei der Rassismus viel schlimmer. Illegale Ausländer werden in Mali oder Nigeria erheblich mieser behandelt als in Frankreich, sagt der Erzähler. Weshalb er Le Pens Nationalisten-Verein zwar nicht mag, aber wäre er weißer Franzose, könnte er sich vorstellen, Le Pen zu wählen. Immerhin kämen ja manche schwarzen Völkerstämme derart in Massen nach Frankreich, dass man als Weißer Angst bekommen könne.
So geht das erst einmal 10 Kapitel lang, angelegt als höhnische Tirade gegen den eigenen Vater, der den Schwanz nicht mehr hochkriegt und auf alles schimpft, außer auf sein Heimat-Dorf, wo Sitte und Ordnung herrschten und die Frauen taten, was die Männer ihnen sagten.
Als Vorbild entpuppt sich eher die Mutter, die, mit einem unsäglichen sexuellen Appetit ausgestattet, in Frankreich endlich aufblüht: wenn ich schon einen Versager geheiratet habe, will ich mich wenigstens amüsieren.
Es gibt kaum ein Klischee, das Sami Tchak nicht entwertet. Und ganz besonders will er keine Fürsprache von gutmeinanden blassen Frauen, die für die "Bedürfnisse der Schwarzen eintreten. Das können wir selber, sagt er, schließlich haben wir doch die dicksten Lippen von allen!
Neben der Tirade entwickelt sich sogar eine Geschichte, eine mit drastischem Sex, der allerdings auch nicht folgenlos bleibt: AIDS und Afrika gehören eben zusammen. Aber das packende an Scheiß Leben ist diese große Klappe, mit der Sami Tchak auf die Welt losgeht und alles, was wir geglaubt haben, ziemlich durch den Kakao zieht - er etwa würde nicht an Schwarze vermieten, die mit ihren Riesen-Sippen und offenen Feuerstellen jede Wohnung ruinierten - das ist ein Humor, der in Frankreich mit seiner Kolonialvergangenheit und seinen vielen schwarzen Einwanderern und Bürgern sicherlich anders ankommt als hier.
Vor allem aber ist Scheiß Leben gut geschrieben und sehr flott übersetzt. Tchak trifft einen witzigen, proletarisch-literarischen Tonfall, hinter dessen Zynismus sich eine Menge Selbstbewußtsein verbirgt. Tchaks Held führt seine Arbeitslosigkeit nicht darauf zurück, dass er schwarz ist, sondern weil er idiotischer Weise Literatur studiert hat.
Bei Sami Tchak, der in Togo geboren wurde, sind, nebenbei, Sex und Erotik ganz selbstverständlich "schwarz". So wie er nicht müde wird, die Brüste seiner Cousine oder die Hintern seiner Schwestern zu besingen, so wenig kommt "weiß" als erotische Attraktion überhaupt vor. Das ist endlich mal ein sympathischer Rassismus.
Victor Lachner
Sami Tchak: Scheiß Leben. Aus dem Französischen von Uta Goridis und Nicole Gabriel. Zebu, Frankfurt 2004, 304 S., 22,- ISBN: 3937663002