JUSTIZ

Mord ohne Leiche

Ein rätselhafter Kriminalfall und ein Polizeiskandal

Vor 12 Jahren verschwand die 9-jährige Peggy Knobloch im oberfränkischen Lichtenberg. Ihre Leiche wurde nie gefunden, und doch verurteilte das Landgericht Hof den geistig behinderten Ulvi K. wegen Mordes. Schon damals erregte der Prozess einiges Aufsehen, weil es nur Indizien gab und nur ein widerrufenes Geständnis ohne Protokoll, das die Polizei erst aufnahm, als der Anwalt des Beschuldigten den Raum verlassen hatte, und man erst später bemerkte, dass das Tonband nicht mehr mitlief. Ein Wiederaufnahmeverfahren ist beantragt und zur Zeit werden Knochen untersucht, die vor Kurzem im Haus eines verurteilten Sexualstraftäters gefunden wurden, dem aber keinerlei Beziehung zum Fall angelastet wird.

Das konnten Christoph Lemmer und Ina Jung noch gar nicht wissen, als sie ihr Buch Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals schrieben. Darin werden alle Ermittlungswege und Irrwege minutiös nachgezeichnet, und es entsteht der Eindruck, dass die überforderten Ermittler bewusst die Chance ergriffen, einen möglichen Täter mit Tricks gerichtsfest genug zu machen, um den Fall abschließen zu können. Anfangs ermittelte man noch ordentlich in verschiedene Richtungen und ging auch kleinsten Spuren nach. Aber weil nichts dabei heraus kam und sogar ein Großeinsatz in der Türkei bei Ulvi K.s Stiefvater, der zwischenzeitlich als Täter in Frage kam, peinlich im Nichts endete, verlegte sich die Polizei vom Ermitteln echter Spuren aufs Erhärten möglicher Hinweise. Informanten wurden manipuliert, Tonbandgeräte gingen kaputt, und Ablenkungen, die zu neuen Ermittlungskomplexen hätten führen können, wurden ignoriert.

Denen ging dann nach der Verurteilung 2004 Ina Jung als Drehbuchautorin zusammen mit Friedrich Ani nach. Ani machte daraus seinen Roman Totsein verjährt nicht, Dominik Graf machte daraus den Fernsehfilm Das unsichtbare Mädchen, der 2012 den Bayerischen Fernsehpreis gewann und nahelegt, Peggy sei damals in ein Bordell in Sachsen-Anhalt entführt worden. Das sehen auch andere so, ein Journalist will sogar 2009 Peggys Leiche unter anderem Namen gefunden haben.

Das Buch von Lemmer und Jung hält sich mit solchen Spekulationen zurück. Und auch die aktuellen Knochenfunde, zu denen die Staatsanwaltschaft eigentlich schon vor Wochen etwas sagen wollte, ändern nichts am Urteil: Hier stimmt etwas ganz wesentlich nicht. Ulvi K. war es nicht, die Polizei machte Fehler über Fehler und die Staatsanwaltschaft scheint jedes Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit zu zerrütten.

Wing

Christoph Lemmer / Ina Jung: Der Fall Peggy. Geschichte eines Skandals. Droemer, München 2013, 344 S., 19,99