BIO-FAKES

James Joyce, das Ferkel!

Javier Marias denkt sich Biografien aus

Sir Athur Conan Doyle besaß einen harnfarbenen Hausmantel, Vladimir Nabokov war in jungen Jahren ein Schürzenjäger, und Joseph Conrad neigte dazu, seine Zigarettenkippen überall hinzuwerfen. Solche und ähnlich wichtige Details sind nun dank des zwischen Dichtung und Wahrheit taumelnden Werkes von Javier Marias keine Geheimnisse mehr.
"Ironische Halbporträts" nennt der hochdekorierte Autor aus Spanien seine Geschichten, die sich mit dem Leben einiger Schriftstellerkollegen auseinandersetzten. In der vom selbsternannten Gelegenheitsbiografen Marias verfassten Sammlung Geschriebenes Leben wird die Idee verfolgt, allseits bekannte Literaten wie fiktive Gestalten zu behandeln. Indem er die Literaten einerseits entzaubert und auch formal (jedem werden nur ein paar Seiten zugestanden) von ihrem mehr oder weniger verdienten Sockel stösst, wird Marias ihnen andererseits nicht einmal als einfache Menschen gerecht, denn dafür hätte man ein wenig mehr Material wälzen müssen, als es Anekdoten, Gerüchte und Fantasie hergeben. Doch eben da liegt, kann man vermuten, der Sinn des Buches: Offenbar möchte Marias zeigen, wie viel bzw. wenig von einer berühmten Person übrig bleibt, wenn man sie ihres Ruhmes entkleidet.
Eigentlich ist das eine Banalität, und so bemüht sich Marias auch redlich, ein wenig mehr in seine Kollegen hineinzudichten. Gute Eigenschaften wie Sensibilität, Menschenliebe, Treue oder Loyalität prägen die Charaktere der Kreativen allerdings nur dann, wenn sie es geschafft haben, die Sympathie ihres Hobbybiographen zu erringen, wie es etwa für Rilke, Isak Dinesen oder den immer wieder als Freund von vielen auftauchenden Henry James gilt. Verweigert Marias seinen Beobachtungsobjekten dagegen diese Gunst, wie es am deutlichsten bei James Joyce, Thomas Mann und Yukio Mishima der Fall ist, driftet die bissig-ironische Erzählweise, die in manchen Kapiteln durchaus zugegen ist, allzusehr ab in Richtung Klatschblatt-Niveau und Sensationsversessenheit. Müssen wir Joyces perverse Neigungen wirklich kennenlernen oder die sich ohnehin schon an der Grenze zum guten Geschmack bewegenden Tagebücher des großen Zauberers Mann nacherzählt bekommen? Nicht unbedingt.
Natülich merkt man Marias Ausführungen den Spaß an, große Konkurrenten zu demontieren oder ihnen, wenn es grade passt, gnadenvoll eine nette Eigenschaft zu gewähren. Mit einem Schuss zuviel Arroganz lässt Marias die Objektivität außen vor und wühlt auf höchst unschöne Weise in sexuellen Vorlieben, miesen Charaktereigenschaften, menschlichem Versagen oder seltsamen Allüren.
Der Idee des Buches gemäß, nur halbe Wahrheit zu sprechen, geizt Marias sehr mit Daten und genauen Angaben über Leben und Werk der betrachteten Literaten. Dafür füllt aber seine persönlichen Fotosammlung einen ganzen Anhang, durch den sich der Leser blättern kann, um noch einmal den Größen der Weltliteratur ins Gesicht zu blicken und an all das erinnert zu werden, was er nun dank Marias weiß oder nicht weiß.
Julika Pohle
Javier Marias: Geschriebenes Leben. Ironische Halbporträts. Aus dem Spanischen von Carina von Enzenberg. Klett-Cotta, Stuttgart 2001, 315 S., 39,50 DM