LEXIKON
Bomben & Hoden
Gesammelte "Lügen und Irrtümer" über die Nazis
Nazis zum Nachsachlagen: Wußte Hitler von Rudolf Heß' England-Trip? (nein). Gab's Bordelle für die SS mit klasse blonden Rasse-Mädels zu Zuchtzwecken? (eher nein). Hatte Heydrich jüdische Vorfahren? (nein) ... in dieser Art arbeitet sich der Lexikonlektor und Publizist Friedemann Bedürftig durch die historischen Erkenntnisse über die Nazizeit. Wobei es neben den Fakten auch manchmal einfach nur um Worte geht: "Holocaust", "Pogromnacht" und "Faschismus" (in Bezug auf Deutschland) sind Begriffe, gegen die Bedürftig gute Einwände vorbringt. Kurz und knapp sind auch die Gegenargumente zum "Leuchter-Report" aufgeführt (der "beweisen" wollte, dass in Auschwitz nicht vergast wurde), Einwände zu Goldhagens Kollektivschuld-These - was ungefähr der Forschungsstand von 2001 ist, kommt hier vor.
Die neuerliche Unsitte, Fachfragen in Lexikonform abzuhandeln (vor allem populär geworden durch diverse, oft peinliche Publikationen aus dem Eichborn Verlag), mag der Unbildung des Publikums und dem stilistischen Unvermögen des Autors zugute kommen - der Sache dient es nicht.
Es liegt auf der Hand, dass ein "Lexikon" keine durchgehende Argumentation aufbauen kann - was den Autor der mühsamen Aufgabe enthebt, seine Erkenntnisse irgendwie logisch zu ordnen; was thematisch "dran" ist, entscheidet das Alphabet. Gleichzeitig erweckt der Begriff "Lexikon" den Anschein der Endgültigkeit. Andersherum: was im "Lexikon" nicht drinsteht, kann nicht besonders relevant sein.
Und drittens wirkt ein lexikalischer Eintrag immer umfassend und grundsätzlich. Die Grenzen zur Unwahrhaftigkeit erreicht diese Form vor allem bei jenen Fragen, die bis heute nicht geklärt werden konnten. Ob etwa Werner Heisenberg für Hitler eine Bombe bauen wollte aber nicht konnte, ist keineswegs so einfach zu beantworten wie Bedürftig es tut. Die Korruption im Nazireich vorwiegend mit Hitlers Raffsucht belegen zu wollen, ist zumindest unglücklich. Und das Vorurteil "Bei den Nazis hatte alles seine Ordnung" läßt Bedürftig leider ganz aus; gerade das bürokratische Chaos, der Kompetenzwirrwarr und die Eitelkeiten der zahllosen Hitler-Behörden wären einen eigenen Eintrag wert gewesen.
Dafür tauchen dann diese Fragen auf: Hatte Hitler nur einen Hoden? War er schwul? Hat er Leni Riefenstahl flachgelegt? - das sind dann doch eher Begehrlichkeiten für ein Historienquiz auf RTL II.
Erich Sauer
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